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Wo viel Licht ist…

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Wo viel Licht ist…

Acoat Selected-Partner lernen bei einer Studienreise Schadenmanagement „made in England“ kennen

Es gibt einen Ort, an den Christine Stutz, Leiterin Marketing Services bei Sikkens, die Teilnehmer aller Acoat Selected-Studienreisen zu englischen Reparaturbetrieben am liebsten führt. Und in jedem Betrieb ist es derselbe Ort: das Büro des Werkstattleiters, in der Regel ein höchst unspektakulärer, schmuckloser Raum. Doch an der Wand hängt, wovon deutsche Lackierer und Karosseriebauer träumen: Ein Belegungsplan für die Werkstatt, der minutiös auflistet, wann welches Kundenfahrzeug repariert werden muss. Und dies nicht nur für die nächsten zwei, drei Arbeitstage, sondern für die nächsten zwei, drei Wochen. Der Clou dabei: Der Plan ist voll. „Wir haben Wartezeiten von rund drei Wochen für Karosserie- und Lackierarbeiten“, bestätigt Frank Harvey, der Werkstattleiter der Firma Karl Vella Autobody Repairs in Preston, nahe Manchester. Während Betriebsinhaber in Deutschland angesichts solcher Zahlen in Euphorie verfallen dürften, bleibt Frank Harvey jedoch britisch unterkühlt – und dies aus gutem Grund. Eine hundertprozentige Auslastung bedeutet für sein Unternehmen keineswegs die sprichwörtliche Lizenz zum Geld drucken, sondern schlichtweg eine Grundvoraussetzung dafür, dass schwarze Zahlen geschrieben werden können.

Extreme Auslese
Firmen wie Karl Vella Autobody Repairs oder das im Rahmen der Studienreise ebenfalls besuchte Unternehmen Motor Body Care Ltd. in Northwich sind Überlebende eines knallharten Ausleseprozesses, der in England dazu geführt hat, dass die Anzahl der Karosserie- und Lackierbetriebe, der, wie man dort sagt, „bodyshops“, in den letzten 15 Jahren von rund 15.000 auf knapp 5000 zurückgegangen ist. Zugleich sind mit Firmen wie Karl Vella Autobody Repairs Reparaturbetriebe entstanden, die sich durch sehr hohe Kapazität und Serviceausrichtung auszeichnen. Und der Konzentrationsprozess im englischen Markt ist noch nicht zu Ende. Fachleute schätzen, dass etwa 1500 Betriebe reichen würden, um die rund 5 Millionen Schäden, die sich im Vereinigten Königreich jährlich ereignen, zu reparieren. Kein Zweifel: Die Unternehmen, die sich auf diesem Markt behauptet haben, sind Sieger, doch sie haben einen hohen Preis zu zahlen. Entscheidend verantwortlich für diese dramatische Marktentwicklung ist das Schadenmanagement, in England aufgrund der Gesetzeslage früher, umfassender und wesentlich konsequenter betrieben als in Deutschland. So sind unter den Schäden, die bei Karl Vella repariert werden, annährend hundert Prozent nach deutschem Verständnis gelenkte Schäden; Schäden also, die von einer der ebenso mächtigen wie zahlreichen Schadenmanagement-Firmen vermittelt werden, oder bei denen der Kunde von der Versicherung selbst zur Partnerwerkstatt geschickt wurde.
Der Preis ist heiß
Positiv dabei: Es gibt, anders als in Deutschland üblich, Rahmenverträge, die exakt festlegen, wie viele Fahrzeuge eine Versicherung in einem Ein- oder Zweijahreszeitraum in den Betrieb liefert. Eher negativ: Nicht nur das Auftragsvolumen wird exakt festgelegt, sondern auch der Preis. Und der ist heiß: Rund 34 Euro beträgt der Stundenverrechnungssatz. Enorm hoch ist dagegen der Service-Aufwand, der vom Betrieb – natürlich gratis – erbracht werden muss. Die Wunschliste der Versicherungen umfasst Gratis-Mietwagen, Gratis-Kostenvoranschläge ebenso wie Fahrzeugreinigung und kostenlosen Hol- und Bringdienst. Das volle Programm also. Dazu kommt, dass die Einzugsgebiete ebenso wie die Entfernungen größer und damit auch die Kosten für den Betrieb noch höher als üblicherweise in Deutschland sind.
Der hohe Serviceaufwand führt in den englischen Betrieben zu Strukturen, die sich von den Verhältnissen in Deutschland deutlich unterscheiden, wie David Owen, Acoat Selected Betriebsberater in England weiß: „Die durchschnittliche Betriebsgröße der 107 Acoat-Selected Betriebe hierzulande liegt bei 24 Mitarbeitern. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die großen Betriebe haben beim Ausleseprozess die besseren Voraussetzungen“. Was ebenfalls auffällt: Lediglich die Hälfte der Mitarbeiterzahl ist in der Regel produktiv im Reparaturbereich beschäftigt. Die restlichen Mitarbeiter erbringen die umfangreichen Verwaltungs-, Logistik- und Serviceleistungen, unter die auch die aufwändigen Finish- und Reinigungsarbeiten gezählt werden dürfen.
Thema Mitarbeiter
Grundlegende Unterschiede gibt es in nahezu allen Bereichen, in denen das Thema Mitarbeiter betroffen ist. Da weht in England ein rauer Wind. So bemisst sich der Lohn des Mitarbeiters exakt an den Arbeitsstunden, die er erbringt, genauer gesagt: an denen, die verkauft werden. Wer schnell ist und Stunden gut macht, verdient entsprechend mehr, wer langsam ist, weniger. Mehr noch: Ziemlich schlecht verdient, wer Reklamationsfälle produziert. Die Zeit für die Nachbesserung von Reklamationen wird üblicherweise, falls sich ein „Schuldiger“ feststellen lässt, nicht entgolten. Auch bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall steht es im Ermessen des Betriebs, ob er die eher kargen Standard-Zahlungen der Kassen aufstockt. Um rund ein Drittel geringere Urlaubsansprüche tragen ebenfalls dazu bei, die Arbeitskosten zu senken.
Komplexes Thema Qualität
So gilt hier zweifellos: wer die Stundenverrechnungssätze betrachten und vergleichen will, muss eine breite Vielfalt von Faktoren berücksichtigen. Einer dieser Faktoren ist die Qualität, doch wie soll man die im Rahmen einer knappen Studienreise beurteilen? Zwei Vorbemerkungen hierzu: Ein Besuch in drei Werkstätten versetzt sicherlich nicht in die Lage, fundierte Aussagen über die Reparaturqualität zu machen. Und ganz verkehrt wäre es, die anderswo erbrachte Qualität quasi vom hohen Ross herab zu beurteilen. So war die Qualität der Lackierung bei den zur Auslieferung stehenden Fahrzeugen durchweg gut. Doch einige Beobachtungen konnte man in den besuchten Betrieben schon machen: Der in der Regel hohe Finish-Aufwand, der in den Unternehmen betrieben wurde, legt den Schluss nahe, dass in diesem Bereich so manches, was in der Kürze der Zeit während der Vorbereitung oder in der Kabine zu kurz kommt, nachgeholt wird. Dazu passt auch die Beobachtung, dass es durchaus üblich ist, zwei Teile zugleich, auch unterschiedliche Farbtöne in der Kabine zu spritzen. Selbst das Lackieren von zwei Fahrzeugen in einer Kabinen – aus Platzgründen bei geöffneter Kabinentür – konnte man beobachten. Spritznebel oder Staubpartikel lassen sich ja, siehe oben, auch im Finishberich von weniger gut bezahlten Mitarbeitern entfernen.
Kaufmann kontra Fachmann
Dass es Unterschiede bei der Gewichtung gibt, und dass das Thema Qualität durchaus facettenreich ist, brachte eine Episode auf den Punkt, die sich zum Ende des Besuchs in einem der Betriebe abspielte. Dort fand vor dem gestrengen Blick der Besucherdelegation eine frisch lackierte A3-Motorhaube keine Gnade. „Nicht ganz perfekt“ lautete das Urteil, dem sich der englische Werkstattleiter nach eingehender Inspektion anschloss. Sein nächster Schritt bestand jedoch darin, ins Büro zu eilen, um den Auftragszettel zu holen. Gewissermaßen beruhigt kehrte er zurück. Nur eine gute Stunde war offenbar für die Haube kalkuliert und von der Versicherung akzeptiert worden. Kein weiterer Kommentar folgte, nur ein viel sagendes Schweigen, das man in etwa so interpretieren konnte: „Der Reparaturfachmann mag bei dieser knappen Kalkulation vielleicht versuchen, noch höhere Qualität abzuliefern, der Betriebswirt eher nicht.“
Der Löwe als Haustier
Wer also Stundensätze vergleicht, muss Faktoren berücksichtigen, die sich kaum von einem Markt auf den einen übertragen lassen. Ein Faktor hat allerdings überall dieselbe Bedeutung: Die Auslastung ist entscheidend. „Letztlich ist es ein Rechenexempel“, weiß auch Christine Stutz. „Bei einer hundertprozentigen Auslastung und ab einer gewissen Betriebsgröße könnten natürlich auch bei uns die Stundensätze sinken – allerdings nur in der Theorie und unter erheblichen Risiken.“
Diese Risiken verpackte Werkstattleiter Frank Harvey in ein anschauliches Bild: „Bei unseren Marktgegebenheiten einen Betrieb in unserer Größenordnung zu haben – das ist, wie wenn Sie sich einen Löwen als Haustier halten. Täglich brauchen Sie riesige Mengen an Futter.“ Das Risko dabei: Wenn das Futter für den Löwen knapp wird, ist sehr schnell auch sein Halter nicht mehr sicher. MR

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