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In der Praxis bewährt

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In der Praxis bewährt

Jörg Finster setzte vor vier Jahren als einer der Ersten in Deutschland auf Multifunktionsarbeitsplätze.

Michael Rehm

Es ist so eine Sache mit Berichten über neue, innovative Lackieranlagen. Kommt man zur Einweihung oder kurz danach, trifft man auf strahlend weiße Anlagen, penibel aufgeräumte Hallen, in denen jedes Werkzeug akkurat an seinem Platz liegt, und nicht einmal auf den Gitterrosten der Filteranlagen findet sich ein Staubkorn. Alles wirkt, natürlich, anfangs noch etwas leer. Man spürt: Die eigentliche Bewährungsprobe steht der neuen Werkstatt erst bevor.
Beim Karosserie- & Lackzentrum Finster in Wiesbaden sieht das an diesem Tag ein wenig anders aus. Auf dem Hof stehen die noch nicht bearbeiteten Fahrzeuge Schlange, und in der Werkstatt herrscht Hochbetrieb. Ihren Praxistest hat die im Mai 2009 installierte Lackieranlage längst bestanden. Als sie ganz neu war, bot sie reichlich Stoff für Diskussionen, denn als einer der allerersten Betriebsinhaber in Deutschland hatte sich Firmenchef Jörg Finster für Multifunktionsarbeitsplätze entschieden. Geplant, gebaut und installiert wurde die Anlage von der Firma Sehon. Der Lackiertrakt besteht aus einer Futura-Kombikabine, drei Multifunktions- Arbeitsplätzen, die mit einem REVO-Infrarotbogen angefahren werden können, und zwei weiteren abtrennbaren Vorbereitungsplkätze. An den drei Multifunktionsplätze lassen sich Luftmengen und -sinkgeschwindigkeiten wie in einer Kabine erzielen – für Jörg Finster ein entscheidender Punkt: „Unser Ziel war ganz klar, auf diesen Plätzen vieles von dem zu erledigen, was üblicherweise in der Lackierkabine erfolgt. Vier Jahre Praxis haben gezeigt, dass diese Rechnung aufgegangen ist.“
Waagerecht oder senkrecht
Heute hat sich ein festes Schema eingespielt. Die Futura-Kabine wird hauptsächlich für die Lackierung von Teilen benutzt. „Die Anlage ist so leistungsstark, dass manchmal sechs, sieben Aufträge, natürlich auch unterschiedliche Farbtöne, zusammen lackiert und getrocknet werden“, erklärt Jörg Finster. Ebenfalls in der Kabine beschichtet werden liegende Flächen wie Dächer und Motorhauben. Das wiederum ist dem REVO-Halbbogen geschuldet. „Der Halbbogen hat extreme Vorteile bei allen senkrechten Karosserieflächen – vom Schweller über die Tür bis zum Kotflügel“, erläutert Jörg Finster. „Für horizontale Flächen wie Dächer ist diese Form des Bogens dagegen nicht ideal. Nur kommen die ja auch nicht allzu häufig vor.“ Alle senkrechten Flächen am Fahrzeug werden auf den drei mit dem REVO-Bogen erreichbaren Plätzen beschichtet – und das nicht nur bis zur viel diskutierten DIN-A4-Größe. „Die Idee einer Flächenbegrenzung für Lackierarbeiten an Multifunktionsarbeitplätzen stammt aus einer Diskussion, bei der aus meiner Sicht Äpfel mit Birnen verglichen wurden“, meint Finster. „Für einen überdurchschnittlich ausgestatteten Vorbereitungsplatz mit Absaugung und Abtrennung mag diese Beschränkung sinnvoll sein – was wir haben, sind aber aus meiner Sicht drei Kabinen, nur sind die Wände nicht gemauert. Und da lackieren wir ganz normal. Wir würden das nicht tun, wenn wir in den vergangenen vier Jahren irgendwelche Probleme gehabt hätten. Es funktioniert reibungslos.“ Für den reibungslosen Ablauf sorgen auch die Mitarbeiter im Lackierbereich, die ihre Arbeitsweise nach kurzer Eingewöhnungszeit an die neue Technik angepasst haben. „Im Prinzip bearbeitet bei uns jeder ein Fahrzeug vom Spachtel bis zum Klarlack“, erläutert der technische Betriebsleiter Michael Herzberger, „nur hat es sich als praktisch und zeitsparend erwiesen, wenn morgens einer der Kollegen den grauen Lackieranzug anlegt und den Tag über alles, was zu lackieren ist, erledigt. Letztlich ist das eine Frage der Organisation.“ Die Herausforderung für die Lackierer besteht bei dieser Anlage darin, komplexer zu denken. „Die Arbeit selbst hat sich nicht verändert“, erklärt Jörg Finster, „ich muss nur, da die Technik stärker den Ablauf bestimmt, etwas anders getaktet sein. Zum Beispiel ein Fahrzeug lackieren, den REVO programmieren und gleich beim nächsten Auto weitermachen. Bei uns schaut keiner dem IR-Bogen beim Trocknen zu. Dieses Prinzip haben unsere Mitarbeiter aber sehr schnell angenommen, zumal der Umgang mit dem REVO ja keine Rätsel aufgibt. Einfach Fahrzeugposition und Größe angeben, das zu lackierende Teil anklicken und die Lackart angeben – fertig. Das dauert nicht einmal 20 Sekunden.“
Prozesssicherheit
Keine Zeit vergeht auch bis zu weiteren Bearbeitung der fertig lackierten Fahrzeuge. „Sobald die Flächen etwas abgekühlt sind, sind sie montage- oder polierfähig, ohne jedes Risiko“, betont Jörg Finster, der grundsätzlich im Laufe der Zeit den Vorteil seiner Lackieranlage immer stärker in der Prozesssicherheit sieht: „Der REVO-Bogen hat sich für uns als ein Prüfstein für die Qualität der Lackierung erwiesen. Wenn früher zu dick gefüllert oder gespachtelt wurde, hat man halt gehofft, das wird schon halten. Aber manchmal kam es dann eben doch zu Fehllackierungen oder gar zu Reklamationen. Heute ist so etwas ausgeschlossen. Die intensive IR-Trocknung bringt Fehler im Lackaufbau gnadenlos zum Vorschein. Für uns ist das nur positiv: Wir müssen uns zwar genauer an die Schichtdicken halten und verwenden nur noch die Lacke, die sich als ideal für die IR-Trocknung erwiesen haben. Der Lohn dafür ist höchste Prozesssicherheit. Wenn nach der Klarlacktrocknung der Bogen zurückfährt und die Fläche einwandfrei ist, dann wissen wir: Der ganze Aufbau passt.“
Wer kräftig investiert, will natürlich wissen, wie sich die neue Anlage amortisiert, das gilt auch für Jörg Finster. Genau mit diesem Punkt tut er sich aber ein wenig schwer, denn wie soll man einen Vorher-Nachher-Vergleich anstellen, wenn man dank der neuen Anlage dynamisch wächst? „2008, also ein Jahr, bevor wir die neue Lackieranlage gebaut haben, konnten wir 1.400 Lackierdurchgänge pro Jahr verzeichnen“, erinnert sich der Firmenchef. „2010 waren es mit der neuen Anlage schon 1.900 Durchgänge, 2011 kamen wir auf 2.400 und im letzten Jahr 2.600 Durchgänge.“ All diese Steigerungen erfolgten, ohne an der Lackieranlage etwas zu ändern zu müssen. Und es gibt noch Luft nach oben. „Manchmal frage ich mich“, sinniert Jörg Finster, „was für eine Art von konventioneller Anlage ich haben müsste, um eine vergleichbare Menge an Aufträgen in derselben Qualität zu bearbeiten. Definitiv zwei Kombikabinen müssten es schon sein, mindestens eine davon mit Portaltrockner, dazu noch sechs bis sieben Vorbereitungsplätze mit IR-Strahlern“. Ganz sicher lässt es sich nicht sagen.
Eines weiß Jörg Finster aber ganz genau: „Für uns hat sich die Investition gelohnt. Die Energiekosten sind im Rahmen, die Qualität passt perfekt – und eine konventionelle Anlage mit ähnlicher Kapazität würde gar nicht mehr in unsere Halle passen.“

Effizient, flexibel, sparsam

Tiemo Sehon über Multifunktionsarbeitsplätze im Lackierbetrieb
Herr Sehon, Multiarbeitsplatz, Multifunktionsarbeitsplatz, Universalarbeitsplatz – die Begriffe werden sehr unterschiedlich verwendet. Mal dreht es sich um aufwendige Vorbereitungsplätze, mal um Arbeitsplätze, die eine Lackierkabine quasi ersetzen können. Wie würde Ihre Definition lauten?
Da würde ich gerne ein bisschen zurückblicken. Den Engpass in Lackierbetrieben stellen die Lackierkabine und der Trockner dar. Viele Lackierbetriebe können ihren Durchsatz nicht erhöhen, weil die Lackier- und Trocknungskapazitäten durch die gegebene Lackieranlagenkonstellation festgeschrieben waren. Gleichzeitig betreffen 80 Prozent aller Reparaturlackierungen kleinere Fahrzeugteile und –flächen. Diese kleineren und mittleren Reparaturlackierungen blockieren permanent die große Lackierkabine bzw. den Trockner und verhindern mehr Durchsatz. Außerdem verbrauchen Klein- und Mittelreparaturen bei der Lackierung und Trocknung in einer großen Kabine unnötig viel Energie und unglaublich viel Zeit für das Rangieren von Fahrzeugen. Über Lösungen für diese Situation haben wir uns schon vor einigen Jahren Gedanken gemacht. Es musste eine Technologie geschaffen werden, die alle Schwachpunkte und Probleme der Betriebe gleichzeitig lösen konnte. Also kam ich auf die Idee, großflächige IR-Trocknung einzusetzen und dafür eine neuartige Lackierkabine zu entwickeln. Die Lösung, also unsere Multifunktionsarbeitsplätze, haben wir der Branche erstmalig im Jahr 2008 als Innovation präsentiert. Diese Plätze werden seitdem sehr erfolgreich in Lackierbetrieben eingesetzt.
Nach unserer Definition ist ein Multifunktionsarbeitsplatz also nichts anderes als eine Lackierkabine für großflächige IR-Trocknung. Multifunktionsarbeitsplätze von SEHON haben quasi die selbe Ausstattung wie eine traditionelle Lackierkabine, das heißt ein eigenes Aggregat für Zu- und Abluft, Erwärmung der Luft etc. Einziger Unterschied zu einer herkömmlichen Lackierkabine ist die Trocknung durch IR-Strahlung sowie die Tatsache, dass die Kabine von einem speziellen Vorhangsystem geöffnet und geschlossen wird und nicht durch Türen und Tore. Durch diese Trocknungsumstellung von Umluft auf IR wurde es möglich, auch alle Vorbereitungsarbeiten in der Kabine selbst vorzunehmen. Solche Plätze können problemlos in Lackierbetrieben auf die Fläche bestehender Vorbereitungsplätze nachgerüstet werden kann.
Was wären demnach Universalarbeitsplätze?
Ich verstehe darunter aufgerüstete Vorbereitungsplätze, die mit einer Multifunktions-Lackier- und Trockenkabine nicht zu vergleichen sind.
Schwingt bei der Neuplanung von Anlagen heute das „Prinzip“ Multifunktionsplatz als Planungsvariante immer mit?
Bei Neuplanungen wird fast immer auch über Multifunktionsarbeitsplätze nachgedacht. Nicht als Alternative zur Kombikabine oder zur Kabine plus Trockner, sondern als wichtige Ergänzung, um einen Betrieb von vornherein wirtschaftlich, flexibel und ökologisch zu gestalten. Allerdings werden natürlich auch die klassischen Betriebe mit Vorbereitungsplätzen, Kabine und Trockner weiterhin von SEHON geplant, angeboten und gebaut. Schließlich gibt es im Handwerk wie überall Betriebsinhaber, die ihren Betrieb klassisch aufbauen wollen. Die werden selbstverständlich auch von uns bedient.
Kommen Multifunktionsarbeitsplätze eher dann ins Spiel, wenn innerhalb baulicher Grenzen die Kapazität erhöht werden soll?
Das auch, aber das ist nicht der Hauptgrund. Die Kapazität der bestehenden Kabine kann man auch durch einen zusätzlich in die Kabine integrierten IR-Portaltrockner erhöhen, auch diese Lösung haben wir schon erfolgreich realisiert. Bei den Multifunktionsarbeitsplätzen zählen vor allem die extrem hohe Effizienz und die Energieeinsparung.
Nun wurde über Richtlinien für Multifunktionsarbeitsplätze ja vor einiger Zeit heftig diskutiert. Die Berufsgenossenschaft Metall Nord-Süd hatte vor knapp zwei Jahren Regeln definiert. Welchen Einfluss hatte dies auf Ihre Anlagen?
Überhaupt keinen. Multifunktionsarbeitsplätze nach unserer Definition entsprechen den BG-Richtlinien; sie sind ja schließlich mit derselben Technologie wie traditionelle Lackierkabinen ausgestattet. Außerdem haben wir alle sicherheitsrelevanten Verriegelungen und Abfragen bereits heute freiwillig integriert. Wir haben da keine Probleme.
Wie würden Sie die Zukunftsaussichten für Multifunktionsplatz-Lackieranlagen sehen?
Es handelt sich bei diesen Plätzen um keine Zukunftstechnologie, sondern um ein ausgereiftes Produkt, das erfolgreich eingesetzt wird und wichtiger Bestandteil der SEHON-Technologie und –Philosophie ist. Der Anteil dieser Anlagen im Vergleich zu klassischen Lackieranlagen wird sicherlich deutlich zunehmen.
Herr Sehon, vielen Dank für das Gespräch. MR

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