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Leben und leben lassen

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Leben und leben lassen

Ein auskömmlicher Stundenverrechnungssatz setzt höhere Versicherungs- beiträge voraus

Früher, so vor zehn Jahren, gab es für Karosserie- und Lackierbetriebe gute und weniger gute Kunden. Die Guten, das waren die Privatkunden, die weniger Guten, das waren die Autohäuser. Der Private war, solange er sich gut betreut fühlte, bereit, für die Leistung eines Unfallinstandsetzers den regulären Stundenverrechnungssatz zu bezahlen, die Autohäuser verlangten hingegen zwischen 15 und 25 Prozent Provision. Da knirschte so mancher Lackierer mit den Zähnen. Auf Autohäuser als Kunden zu verzichten war jedoch bei deren Marktbedeutung fast nicht möglich.

Sukzessive schob sich alsbald ein Kundentyp dazwischen, der ein bisschen gut und ein bisschen weniger gut war: der Schadensvermittler, aus dem sich später dann der Schadenslenker oder auch Schadenssteuerer entwickelte. Zum Beispiel Motorcare. Diese Stuttgarter Gesellschaft wollte nur lumpige fünf Prozent von der Schadenshöhe als Provision. Aus dem regulären Stundenverrechnungssatz (SVS), wohlgemerkt! Damit konnte ein Betrieb prima leben. Ein gutes Dutzend Versicherungsgesellschaften ließen sich in der Schadensvermittlung von Motorcare vertreten, allen voran die Württembergische. Die Motivation der Versicherungsgesellschaften, die Schäden in sogenannte Partnerwerkstätten zu lenken, war offensichtlich. Den Autohäusern, die größtenteils keine eigene Lackierkompetenz besaßen, sollte diese Provision nicht mehr vergönnt sein.
Motorcare suchte sich die Partnerbetriebe anfangs recht oberflächlich aus, ging es doch darum, zügig ein bundesweites Netz aufzubauen. Hatte sich ein Betrieb dann als Kooperationsbetrieb etabliert, vermittelte Motorcare ziemlich schnell einen Umsatzanteil von 20, 30 und mehr Prozentpunkten. Die Partnerbetriebe rieben sich die Hände. Doch wie in jeder Branche heißt es auch in unserer: „Ein Kunde über 20 Prozent Umsatzanteil ist ein schlechter Kunde“. Und tatsächlich, sobald sich zum Beispiel bei der Abwicklung eines Schadens mal Unstimmigkeiten ergaben oder sich ein vermeintlich kompetenterer Betrieb aus der Nachbarschaft um einen Vertrag bei Motorcare bemühte, war dieser „gute“ Auftraggeber über Nacht häufig wieder weg und mit ihm ein Drittel des Umsatzes. So mancher K+L-Reparaturbetrieb kam auf diese Weise in Schräglage.
Heute heißt Motorcare Innovation Group, wirkt für Dutzende Versicherungen und Flotten und bezahlt, wie die anderen Steuerer auch, einen um etwa 25 Prozent reduzierten Betrag des vernünftigen SVS von etwa 85 Euro. Diesen haben Organisationen wie ZDK, ZKF und Eurogarant als jene Größe ermittelt, die notwendig ist, um einen Betrieb nachhaltig wirtschaftlich zu betreiben. Die IG lenkt aktuell monatlich mehr als 10.000 Schäden in Partnerwerkstätten. Hier sei auch die ähnlich mächtige HUK-Coburg genannt und weitere Schadenslenker, denen ebenfalls ein Stundensatz von 60 Euro als angemessen erscheint. Unisono ist deren Hauptargument, dass sie der Partnerwerkstatt große Volumina lieferten und da müsse ja eine Art Mengenrabatt für die Versicherungsgesellschaften drin sein. Aber nicht Gewinnstreben oder gar Raffgier ist die Ursache für die Preisdrückerei, nein, die Kfz-Versicherer stehen selbst mit dem Rücken zur Wand. Auch sie befinden sich untereinander in einem mörderischen Wettbewerb, einige arbeiten im Kfz-Versicherungsbereich hoch defizitär und können die günstigen Tarife nur durch rentablere Gebäude-, Sachwert- und Kapitalversicherungen ausgleichen. Alle Gesellschaften müssen diesen Kostendruck an irgendwen weitergeben – da finden sich im Schadensfalle letztlich nur die Reparaturbetriebe, hier sind sich alle auch ohne kartellartige Absprachen einig. Und jetzt kämpfen die Gesellschaften auch noch mit dem Trend, dass die Automobilindustrie direkt ins Assekuranzgeschäft einsteigt und hier mit Dumping-Prämien in einer Art Mischkalkulation Käufer für ihre Marke locken, indem sie kostengünstige Komplettpakete anbieten; Fahrzeug, Leasing, After-Sales-Service und Versicherung – alles aus einer Hand.
Keiner macht den Anfang
Eine generelle und adäquate Erhöhung der Haftpflicht- und Kaskoprämien würde den Kreis durchbrechen, und alle wären wieder glücklich, mal abgesehen vom Autofahrer. Keiner der Haftpflichtversicherer traut sich jedoch die Prämie zu erhöhen. Eine Tariferhöhung eines Versicherers im Alleingang bewirkte nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass er sich selbst aus dem Markt katapultierte. Zum Stichtag 30. November zeigt sich jedes Jahr aufs Neue, dass etwa 25 Prozent der Versicherungsnehmer wechselbereit wären, würde sich eine erheblich günstigere Versicherung anbieten bzw. würde die eigene den Tarif mächtig erhöhen. Wenn es ums Geld geht, so weiß man, lässt die Treue schnell nach.
Und als ob die armen Lackierer nicht schon gebeutelt genug wären, schickt sich jetzt die Automobilindustrie an, mit der Entwicklung intelligenter Fahrerassistenzsysteme die Unfallhäufigkeit drastisch zu minimieren. Hier tut sich in den nächsten zehn Jahren extrem viel. Branchenkenner meinen, dass sich das Automobil bis 2020 technologisch weit mehr verändern wird, als es sich die vergangenen 100 Jahre veränderte. Wenn ein Auto selbständig mitguckt und mitbremst, bei nicht angepassten Geschwindigkeit piepst und auch sonst vom Fahrer elektronisch eine defensive Fahrweise einfordert, bleibt das „Heilix Blechle“ länger heil. Dies aber leider nicht im Sinne der Unfallreparaturbetriebe, denn weniger Blechschäden bedeuten auch weniger Jobs.
Auf Plattformen wie dem Autohaus Schadensforum in Potsdam treffen sich die unterschiedlichen Lager und kommunizieren miteinander. Jeder stellt seine Position dar. Der Grundtenor ist dabei, dass alle, die Versicherer, die Hersteller und die Reparateure, im gleichen Boot sitzen und der Hauptnutznießer dieser Situation ausschließlich der Kfz-Besitzer ist, der sein Fahrzeug mit hohen Rabatten erwirbt, zu Sonderkonditionen finanziert oder least, sehr günstig versichert und im Schadensfalle dann vom Reparateur alles hinterhergetragen bekommt. Vom kostenlosen Hol- und Bringdienst über einen ebenso kostenlosen Unfallersatzwagen bis hin zur Generalreinigung innen und außen. Dies würde letzterer ja gerne tun, jedoch zu einem ordentlichen SVS.
Eine Reaktion auf der Preispolitik der Schadenssteuerer war die Gründung des Bundesverbandes der Partnerwerkstätten e. V. (BVdP), in Bad Tölz durch Christian Hoog, Markus Steegmann und Robert Paintinger. Erst im August 2010 ins Leben gerufen, hat der Verein, der immerhin einen Jahresbeitrag von 400 Euro einfordert, bereits ca. 500 Mitglieder. 1.500 sollen es werden, um eine wirklich starke Organisation darzustellen, der man auch zuhört. Der BDvP betont, kein grundsätzlicher Gegner der Schadenssteuerung zu sein, jedoch darf die Kosteneinsparung durch den optimierten Prozessablauf in der Schadensabwicklung nicht nur durch Reduzierung der Gewinne der Werkstätten erzielt werden.
Eines ist sicher: Solange es nur einen Gewinner gibt in dieser Story, den Verbraucher nämlich, reiben sich die Versicherer, Steuerer und Werkstätten weiter aneinander. Dabei heißt es doch auch in unserer Branche „leben und leben lassen“.

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