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Der Druck auf Werkstätten wächst

Management
Der Druck auf Werkstätten wächst

Europaweit nimmt die Steuerung von Unfallschäden zu

Christian Simmert

Großbritannien gilt als Vorreiter des Schadenmanagements. Hier steuern Versicherungen seit über zehn Jahren die Reparatur mit harter Hand. Kaum ein Unfall, kaum eine Instandsetzung erreicht den freien Markt. Die Assekuranzen bestimmen, in welche Werkstatt sie den Schaden lenken. „Rund 80 Prozent der Reparaturen werden gesteuert“, stellt der britische Branchenexperte Chris Mann fest. Die Folge: Innerhalb kürzester Zeit schrumpfte die Anzahl der Karosserie- und Lackierbetriebe von 15.000 auf nur noch rund 6.000. Weiterer Effekt: Der Stundenverrechnungssatz sank auf durchschnittlich 37 Euro. „Heute erwirtschaften die Unternehmen nur noch zwei Prozent Gewinn, arbeiten kaum rentabel“, lautet die aktuelle Bestandsaufnahme im Vereinigten Königreich. Motor dieser tief greifenden Veränderungen im britischen Markt ist nach Ansicht vieler Experten das wachsende Schadenmanagement. Policen mit Werkstattbindung, die Steuerung durch Leasinggesellschaften und das verstärkte Engagement der Automobilhersteller im Reparaturgeschäft haben den Wettbewerb verschärft. Immer mehr freie Betriebe mussten kapitulieren.
Konflikt oder Kompromiss?
Europa lenkt den Schaden. Längst hat diese Entwicklung auch andere Länder erfasst. Doch nicht in jedem Markt sind die Auswirkungen auf die Branche so gravierend wie in Großbritannien. Beispiel Niederlande: Hier wachsen Unfallreparaturbranche und Versicherungswirtschaft immer stärker zusammen. Kooperation lautet seit nunmehr 15 Jahren die holländische Philosophie. Dabei steht die Effizienz der Reparaturprozesse im Mittelpunkt. Das Prinzip: Werkstatt und Kfz-Versicherer kommunizieren schnell und konsequent über verschiedene Internetplattformen innerhalb ihrer Werkstattnetze. Schadenmeldung, Kalkulation, Gutachten oder Reparaturfreigabe – per elektronischer Datenübertragung wird der Schaden abgewickelt.
Kommunikation als Schlüssel
„In den Niederlanden hat sich ein starkes Kooperationsmodell etabliert“, erklärt Dr. Carsten Mann, Manager beim internationalen Schadensteuerer Nobilas. „Assekuranzen arbeiten gemeinsam mit den Reparaturbetrieben an der Optimierung ihrer Kostenstrukturen. Natürlich gibt es dabei unterschiedliche Interessen, dennoch findet man immer wieder Kompromisse“. Nahezu jeder Arbeitsschritt der Werkstatt wird so für den Versicherer nachvollziehbar. Der Reparaturbetrieb wiederum kann plausibel seine Kosten für die Instandsetzung argumentieren. Vom Reparaturaufwand über die Ersatzteilkosten bis hin zum Mietwagen. Im Gegensatz zu Großbritannien bleiben die Stundenverrechnungssätze mit 55 EURO im Durchschnitt stabil, auch die Reparaturkosten liegen im europäischen Mittel.
„Die Veränderungen in Europa sind enorm“, beobachtet Jan Koolen, Generalsekretär des Europäischen Karosserieverbandes AIRC. Seine Analyse: „Versicherungen und Schadenassisteure teilen sich den Markt.“ Frankreich, Italien oder Spanien – überall dort wo Kfz-Versicherer die Unfallreparatur selbst stark steuern, halten sich Schadenlenker zurück. „In Märkten wie Deutschland, wo die Quote an gelenkten Unfallschäden mit acht Prozent noch gering ausfällt, sichern sie sich Marktanteile.“ Die Auswirkungen auf die Werkstatt sind klar: Der Kostendruck nimmt zu, gleichzeitig sollen Karosserie- und Lackierbetriebe mehr Qualität und Service bringen. Zusätzlich kommt aus Großbritannien und den Niederlanden ein weiterer Trend: „Die Versicherungen steigen in den Ersatzteilvertrieb ein“, beschreibt Jan Koolen die aktuelle Entwicklung. Ein neuer Anlauf, um den Reparaturaufwand weiter zu verringern.
Wohin steuert der deutsche Markt?
Auch in der heimischen Branche sehen Experten viel Potenzial beim Schadenmanagement. „Bis zu 30 Prozent aller Kasko- und 20 Prozent der Haftpflichtschäden sind künftig steuerbar“, schätzt Matthew Whittall vom Schadenmanager The Innovation Groupe (TIG). Zwar garantiert das deutsche Kfz-Haftpflichtrecht dem geschädigten Autofahrer die freie Wahl der Werkstatt für die Instandsetzung des Unfallschadens. Doch im Kaskofall entscheidet immer öfter die Versicherung.
„Kasko-Select“ nennt sich die Werkstattbindung bei der HUK-Coburg, die britische Assekuranz Direct Line bietet ähnliche Policen an. Das System ist immer gleich: Mit günstigen Kasko-Tarifen steuern die Versicherer den Unfall in eigene Partnerbetriebe. „Wir kooperieren mit dem Werkstattnetzwerk Nobilas. Hier werden die bei uns versicherten Kaskoschäden bevorzugt in Stand gesetzt“, erklärt Michael Jänchen, verantwortlich für Schadensteuerungsprozesse. Doch auch im Haftpflichtfall greifen die Assekuranzen ein. „Ohne Zwang bieten wir den Versicherungsnehmern immer den vollen Service unserer Partnerwerkstätten an“, heißt es bei Direct Line. Das Unternehmen will in diesem Bereich weiter wachsen. Die Betriebe garantieren den ortsüblichen DEKRA-Satz sowie die Bereitstellung eines kostenlosen Ersatzfahrzeuges – und hoffen auf mehr Auslastung der Werkstatt.
Trend zur Steuerung
Fazit: Im europäischen Vergleich ist Deutschland in Sachen Schadenmanagement aus Sicht der Versicherer (noch) ein Entwicklungsland. Doch die Erfahrung unserer Nachbarländer zeigt: Der Trend zur gesteuerten Unfallreparatur setzt sich weiter fort. Diese Einschätzung teilt auch die Bundesfachgruppe der Fahrzeuglackierer (BFL). „Nicht nur Versicherungen beteiligen sich am Schadenmanagement, auch das Reparaturgeschäft der Automobilhersteller und der steigende Anteil an Leasingfahrzeugen reguliert den Markt“, stellt Geschäftsführer Dr. Albert Bill fest. Die Stundenverrechnungssätze geraten weiter unter Druck und gefährden Reparaturqualität und Sicherheit, lautet die einhellige Meinung von AIRC und BFL. „Eine faire Kooperation zwischen Schadenlenkern und Fachbetrieben muss Grundlage der künftigen Zusammenarbeit sein“, unterstreichen Jan Koolen und Dr. Albert Bill gemeinsam. „Nur so kann eine negative Entwicklung wie in Großbritannien vermieden werden.“

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