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Ran ans Blech!

Technik
Ran ans Blech!

Die Karosseriereparatur verändert sich rasant. Neue Werkstoffe erfordern moderne Technik und Know-how.

Christian Simmert

Immer öfter stehen in den Karosseriebetrieben landauf, landab Fahrzeuge der neuen Automobilgeneration. Das Problem: Moderne Werkstoffe geben selbst erfahrenen Karosseriebaumeistern Rätsel auf. Bei der Reparatur reichen traditionelles Fachwissen und bekannte Fügeverfahren nicht mehr aus. Eine fachgerechte Instandsetzung neuer Modelle ist ohne Spezialwerkzeug, spezielles Wissen und exakte Herstellerinformationen kaum noch möglich.
„Die Automobilhersteller setzen verstärkt auf hochfeste Bleche, kombinieren sie mit weichen Stählen und unterschiedlichen Werkstoffen wie Kunststoffen, Aluminium oder Magnesium“, beschreibt Dr. Gregor Steinbeck vom Stahlinstitut VDEh den aktuellen Trend.
Stabiler und leichter
Das Motiv der Autobauer: „Nur mit verschiedenen Stahlsorten lassen sich leichte und sichere Fahrzeuge konstruieren.“ Mehr Stabilität, weniger Gewicht, so lautet das Prinzip fast aller Marken. Das stellt die Unfallreparatur vor neue Herausforderungen. Denn nicht alles, was am Band funktioniert, lässt sich in der Werkstatt nachvollziehen. Wie etwa die 6er-Reihe von BMW setzen sich viele Neuwagen aus einem bunten Material-Mix zusammen. Seine Rohkarosse besteht aus Stahl, Aluminium und Kunststoff.
Rund 4.000 Schweißpunkte und knapp 70 Verschraubungen halten den Bayerischen Motorwagen fest zusammen. In der Serienfertigung wird geschweißt, MIG-gelötet, gebördelt sowie genietet, geclincht und geclipst. Dazu kommen hochmoderne Laserschweißer zum Einsatz. Für die Unfallinstandsetzung bedeutet das: Wer diese Autos in Zukunft reparieren will, braucht ständig aktuelles Know-how und dazu die richtige Werkstatttechnik.
Lernen und Umdenken
Das haben auch die Hersteller erkannt und ziehen die Reparatur verstärkt in ihre Konstruktionsplanungen mit ein. Wie etwa Opel: „Der Werkstoff Stahl hat sich in den letzten Jahren sehr stark weiterentwickelt“, erklärt Karl Mauer, Direktor der Technik-Kommunikation bei Opel. „Um hochfeste Karosserieverstärkungen in Stand setzen zu können, sind neben der richtigen Ausrüstung vor allem fundierte Kenntnisse des Materialverhaltens und der Reparaturvorschriften gefragt.“ Diese Entwicklung gilt nahezu für alle Marken.
Information und Schulungen – hier liegt der Schlüssel zum erfolgreichen Reparaturgeschäft der Zukunft. Schon heute ist klar: Lernen und Umdenken ist gefordert. Die Entwicklung des Schweißens macht dies besonders deutlich. Stichwort MIG-Löten: Früher sorgten hohe Temperaturen für feste Verbindungen. Heute wird immer mehr kalt gelötet. Wie wichtig das MIG-Löten in Zukunft sein wird, zeigt der Blick nach Rüsselsheim. Nach dem Vectra C, Signum und Meriva setzt Opel das Karosseriekonzept mit dem Astra H konsequent fort. Das CO2-Schweißen ist bei diesen Modellen längst nicht mehr erlaubt.
Ein Vorgehen, das neben Opel auch andere Hersteller favorisieren. Denn traditionelles Schweißen erhitzt die modernen Bleche über Gebühr. Das verringert die Festigkeit des Materials und der Verbindung. Die Konsequenz: Korrosionsschutz, Sicherheit und Crashverhalten verschlechtern sich entscheidend. Letztendlich handelt es sich um eine unsachgemäße Instandsetzung des Unfallschadens.
Harte Zeiten
Das Rad der technischen Entwicklung dreht sich nach Ansicht der Experten immer schneller. Die Automobilindustrie stellt die Reparaturbranche bei jedem Serienanlauf vor neue Herausforderungen. „In einigen Fahrzeugen sind heute bereits so genannte ultraharte Stähle im Bereich der Schweller und der B-Säule verbaut“, so Martin Strasser, Geschäftsführer des Werkstattausrüsters Wieländer und Schill „Diese lassen sich oft nur noch mit einem Plasmaschneidgerät trennen. Selbst die Trennscheibe stößt hier in vielen Fällen an ihre Grenzen.“ Nur eine Randnotiz aus der Oberklasse? Keineswegs. Mit diesen extrem harten Werkstoffen sind bereits der Opel Vectra C, der VW Golf und der Peugeot 307 ausgestattet.
Mehr Flexibilität
Ähnliches beobachten auch die Karosserie-Experten ktd GmbH in Calw. „Wer höher- und höchstfeste Stahlbleche bearbeiten will, muss seine Trennwerkzeuge entsprechend anpassen“, lautet die Feststellung von Geschäftsführer Manfred Wörner. Zwar sei die komplette Umrüstung einer modernen Werkstatt wohl nicht notwendig. Allerdings erfordern die unterschiedlichen Karosseriekonzepte und die Vielfalt der Karosseriewerkstoffe künftig wesentlich mehr Flexibilität in der Unfallreparatur.
Die Werkstatt muss über ein breites Spektrum an Wissen und Werkzeugen verfügen. Denn die modernen automobilen Werkstoffe besitzen bisher unbekannte Eigenschaften. „Die Zugfestigkeit hoch- und höchstfester Karosseriebauteile ist enorm. Sie sind äußerst stabil, ihr Festigkeitspotenzial reicht von 300 bis 1.500 N/mm2“, unterstreicht Manfred Wörner. Der Werkstatt bereitet diese Fähigkeit jedoch Kopfzerbrechen. „Das Rückverformen hochfester Karosserieteile ist schwieriger. Liegt die Festigkeit über 1.000, wird die Rückverformung fast unmöglich. Zusätzlich steigt beim Schweißen die Gefahr der Heißrissempfindlichkeit und vor allem: Die Schweißanforderungen sind von Material zu Material sehr verschieden.“ Seine Faustregel: Je höher die Festigkeitseigenschaften, desto geringer die Rückverformungsmöglichkeiten.
Welche Ausrüstung ist nötig?
Doch welches Reparaturwerkzeug braucht die Werkstatt künftig wirklich? Prozessgesteuertes Widerstandspunktschweißen, MIG-Löten und MAG-Schweißen zählen zu den zukunftsorientierten thermischen Fügeverfahren. Auch das handgeführte Laserstrahlschweißen gehört zur modernen Technologie, ist jedoch auf Grund von noch zu hohen Investitionskosten für die Werkstatt momentan wenig rentabel. „Grundsätzlich gilt, dass künftig rechnergestützte Punktschweißgeräte den Schweißprozess regeln. Das bedeutet: Die modellspezifischen Parameter der Hersteller sind direkt in der Schweißanlage gespeichert“, erklärt Dipl.-Ing. Tim Wibbeke vom Laboratorium für Werkstoff- und Fügetechnik der Universität Paderborn. Das sorgt für die exakte Einhaltung der Schweißvorgaben. Denn: „Die neuen Stahlsorten reagieren zum Teil empfindlich auf Wärmeeinwirkung bei der Reparatur. Änderungen wichtiger Prozessparameter wie zum Beispiel Elektrodenkraft, Schweißzeiten und -temperatur müssen beachtet werden.“
Kleben im Kommen
Neben moderner Schweißtechnik gewinnen auch kalte Fügeverfahren an Bedeutung. Das gilt vor allem für die Reparatur von geklebten Karosserieteilen. Denn der moderne Materialmix lässt sich so in der Serie elegant zusammenfügen. „Die Reparaturverklebung wird ähnlich wie in der Serienfertigung eingesetzt“, erklärt Wolf Dieter Misch von Henkel Teroson. Doch auch hier bedarf es der richtigen Werkzeuge. Nur mit Klebepistolen, Kartuschenheizgeräten und einem Ausglasungsssystem kann die Instandsetzung durchgeführt werden. Zudem ist ein Infrarotstrahler oder eine Trocknungskabine zum Aushärten der Klebstoffe notwendig.
Investitionen nötig
Insgesamt zwingt diese Entwicklung die Werkstätten immer wieder zur Anpassung der Geräte. „Ein kompletter Karosseriearbeitsplatz, der mit den derzeit erforderlichen Werkzeugen und Geräten ausgestattet ist, kostet rund 90.000 Euro“, schätzt das ktd in Calw. Um den Anschluss an den Wettbewerb zu halten, sei es deshalb wichtig, frühzeitig in die neue Ausrüstung zu investieren, so die Experten weiter. Dieser Einschätzung kann der Betriebsinhaber und Partner des Spies Hecker Werkstattsystems IDENTICA Bernd Michels aus Vettweiß bei Köln zustimmen. „Bei unserer täglichen Arbeit treffen wir schon heute immer häufiger auf hochfeste Karosseriebleche sowie Anbauteile aus Aluminium und Kunststoff.“ Um solche Materialien fachgerecht reparieren zu können, investierte Michels in den letzten drei Jahren über 200.000 Euro in seinen Betrieb. Heute kann er neben einer Schweißanlage für hochfeste Stähle auch auf ein MIG-Lötgerät, ein spezielles Ausbeulsystem sowie ein Komplettprogramm für die Reparatur verschiedenster Kunststoffe zurückgreifen.
Wohin geht die Reise ?
„Egal, ob Schrauben, Nieten, Kleben oder Clinchen – die Vielfalt der Reparaturmethoden nimmt weiter zu“, weiß Jürgen Peitz von der Vorausentwicklung Service bei Adam Opel. Er trägt unter anderem auch die Verantwortung für Versicherungseinstufungen der Fahrzeuge aus Rüsselsheim und Trollhättan. Neu ist: „Wir kombinieren kalte und warme Fügeverfahren miteinander. Das bildet in bestimmten Fahrzeugbereichen die Voraussetzung für hochwertige Reparaturqualität, die auch wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Gleichzeitig setzt Opel weiter auf das MIG-Löt-Verfahren.
Das gleiche Bild findet sich auch bei anderen Marken. Hochfester Stahl, soweit das Auge reicht. Und immer wieder wird an die Werkstatt appelliert: „Passen Sie beim Schweißen hochfester Stahlbleche besonders auf“, warnt Mike Kühnl vom Volkswagen Bildungswerk aus Zwickau. „Denn Stähle mit höherer Zugfestigkeit haben eine geringere Wärmeleitfähigkeit als normale Stahlbleche. Beim Fügen muss deshalb auf gezielten Wärmeeintrag geachtet werden.“ Für die neuen Modelle der Wolfsburger gilt: Nur mit exakter Reparaturanweisung und klaren Schweißvorgaben lassen sich Golf V, Passat oder der Geländewagen Tuareg fachgerecht inStand setzen.
Alleine die richtige Ausrüstung ist also noch keine Garantie für den Erfolg. Das weiß auch Bernd Michels: „Wir investieren nicht nur in die Hardware. Gerade auch die gezielte Schulung der Mitarbeiter ist sehr wichtig. Denn nur so können wir unseren Kunden eine wirklich fachgerechte Instandsetzung garantieren.“
Fazit: Die moderne Karosse kommt nun endgültig in den Werkstätten an. Denn in Zukunft werden ältere Fahrzeuge langsam aber sicher durch Neuwagen ersetzt. Gerade für markenunabhängige Karosseriebetriebe bedeutet das: Nur wer sich frühzeitig auf die veränderte Marktsituation einstellt, die Mitarbeiter kontinuierlich qualifiziert und in moderne Werkstatttechnik investiert, wird sich auch morgen im Wettbewerb behaupten. Gezielte Schulung an Werkzeugen sowie Fahrzeugkarosserie gehören zum Pflichtprogramm zukunftsorientierter Werkstätten.

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