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Vom Schusterpech zum Effektlack

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Vom Schusterpech zum Effektlack

Technische Innovationen prägten die Geschichte der Autolackierung

Der erste Blick eines Autokäufers fällt meist auf die Farbe des Autos, auf seine hochglänzende Lackierung. Und parallel zur Entwicklung des Automobils hat sich auch die Autolackierung nach und nach fortentwickelt: vom Schusterpech bis zum Effektlack.

Der Anfang
Beim ersten Automobil, dem Patent-Motorwagen von Benz, verzichtete man noch ganz auf eine Lackierung. Die Metallteile an diesem Fahrzeug waren mit einer Art „Schusterpech“ gegen Korrosion geschützt. Als Lacke standen in dieser Zeit grundsätzlich zwei Produkte zur Verfügung: Öllacke auf Leinölbasis oder – wenn besondere Qualität gefordert war – Bernsteinlacke, die aus verflüssigten Bernsteinharzen gewonnen wurden und sehr teuer waren. Der Begriff „Bernsteinlacke“ wurde noch lange Zeit verwendet, selbst, als schon Kunstharze Zug um Zug die Naturharze ersetzten.
Der Lackierer stellte ursprünglich seine Farben selbst her – zunächst manuell, dann mit handbetriebenen Farbmühlen. Dies geschah, wie es schon Jahrhunderte vorher die Maler machten: Indem man Bindemittel und Pigmente auf Sandstein oder Marmorplatten mit einem so genannten Läufer miteinander verrieb. Da die Lacke jedes Mal durch Vermischen der Pigmente mit dem Bindemittel neu produziert wurden, blieb der Farbton oft ein Zufallsprodukt. Der Käufer konnte sich aussuchen, ob sein Auto Blau, Schwarz, Grün, Marron, Beige oder Rot sein sollte – eine genaue Nuancierung war aber nicht möglich. Die Farben hatten alle einen relativ erdigen Ton, denn es gab nur Mineralfarben, die anorganische Pigmente enthielten. Als Korrosionsschutzpigmente kamen vorwiegend Bleiweiß und Bleimennige zum Einsatz.
Wochenlang lackieren
In der Frühzeit des Automobilbaus gab es folgende Flächen zu bearbeiten: das Fahrgestell, die Motorhaube und die Karosserie. Vor der Lackierung mussten die Oberflächen mühevoll geglättet werden, da die Blechteile von Hand oder mit einem mechanischen Hammer getrieben wurden. Bis ein Wagen komplett lackiert war, vergingen zwischen vier und acht Wochen. Mehrere Spachtelgänge und einige Zwischenanstriche mit großzügig bemessener Trockenzeit waren erforderlich. Daneben gab es eine einfache, schneller trocknende Lackierung auf Holzölbasis, die „nur“ etwa zehn Arbeitstage benötigte.
Schon von Beginn an wurden die Lackierarbeiten, auch die Pinsellackierung, in Verschlägen vorgenommen, die von den übrigen Räumlichkeiten abgetrennt waren. Man hatte nämlich bereits sehr früh erkannt, dass zum Lackieren saubere Räume notwendig waren. Als Staubbinder wurde Wasser in großzügigem Maß verwendet.
Lackieren in Serie
1912 ließ Henry Ford erstmals ein Automobil am Band fertigen. In der Folge veränderte diese Produktionsweise den gesamten Ablauf der Fertigung. Ford merkte schnell: Die Lackierung war ein Hemmschuh, denn das Arbeitstempo der Lackiererei konnte dem Takt des Fließbands nicht folgen. Ford suchte deshalb nach einer Möglichkeit, den Lackiervorgang zu beschleunigen. Doch erst nach dem ersten Weltkrieg entdeckten Forscher einen neuen Werkstoff zur Lackherstellung: Nitrozellulose, die aus der Kriegsproduktion von Schießpulver übrig geblieben war. Nitrozellulose ließ sich zu Lackbindemitteln verarbeiten. Außerdem waren die Chemiker inzwischen in der Lage, Weichmacher, einige Lösemittel und synthetische Pigmente großtechnisch herzustellen. Hieraus entstanden matte Nitrolacke mit kurzer Trockenzeit (ca. 15 Stunden). Die Trocknungszeit ließ sich durch Wärmezufuhr sogar noch weiter verkürzen. Anschließend brachte man die Mattlacke dann mit Polierpaste und einem Leinentuch auf „Hochglanz“, ein Glanz, der von keinem der späteren Decklacksysteme erreicht werden sollte. Auch Vormaterialien wie Haftgrund, Füller und Spachtelmassen konnten auf Basis dieser Bindemittel hergestellt werden.
Das Nitro-Zeitalter
Wesentliche Voraussetzung bei der Verarbeitung von Nitrolacken war die Verwendung einer Spritzpistole, da die enthaltenen Lösemittel den darunter liegenden Anstrich anlösen. Sie können nicht mit dem Pinsel verarbeitet werden. Zudem müssen alle Oberflächen gründlich entfettet und gereinigt werden, da Nitrolacke besonders empfindlich auf Fettrückstände reagieren und allgemein ziemlich schlecht haften.
Die Farbtonauswahl war bei Nitrolacken immer noch sehr begrenzt. Der Kunde konnte bei den meisten Fahrzeugherstellern nur Rot, Blau oder Grün wählen, und das Endergebnis war nicht wie heute garantiert und normiert. 1928 konnte das erste deckende Weißpigment, Titandioxid, eingesetzt werden, das schnell zur beliebtesten Farbe in den 30er Jahren für offene oder sportliche Fahrzeuge avancierte.
Aber die Freude war nur von kurzer Dauer, denn Nitrolacke sind nicht witterungsbeständig. Das heißt, durch den ständigen Abbau des Bindemittels wird die Lackierung schnell stumpf, die Fahrzeuge mussten dementsprechend oft nachpoliert werden. Folge: Die Decklackschicht wurde schnell abgetragen.
Nitrokombilacke
Mit der Weiterentwicklung der Karosserien veränderte sich auch die Lackiertechnik. 1927 war in den Vereinigten Staaten ein neues Bindemittel entwickelt worden, das Alkydharz (in Amerika als Glyptal bezeichnet). Nachdem die Modifizierung dieses Harzes mit Fettsäuren gelang, konnte es als Lackharz verwendet werden. Alkydharzlacke vertragen sich mit Nitrozellulose und konnten daher als elastifizierende Komponente in Nitrozelluloselacken dienen – diese Mixtur war später unter dem Namen Nitrokombilack gebräuchlich. In den 30er Jahren entwickelte man außerdem Melamin- und Harnstoffharze, die nicht mehr so stark vergilbten und die, mit Alkydharzen gemischt, die Produktion hellerer Farbtöne ermöglichten. Ab 1935 setzte sich die Lackierung mit diesen modifizierten Alkydharzlacken durch, denn sie bildeten eine härtere Oberfläche aus als Nitrozelluloselacke und mussten zudem nicht mehr poliert werden. Außerdem wurde nur noch die Hälfte des Materials gegenüber den vorher üblichen Lacken benötigt.
Silber – ein früher Modetrend
Die Lackierung einer Neukarosse dauerte mit dem neuen Material und der veränderten Technologie nur noch knapp vier Stunden. Voraussetzung war allerdings, dass tiefgezogene Bleche benutzt wurden, bei denen die früher notwendigen Spachtelarbeiten wegfielen. Auch die Farbgebung änderte sich: Auf dem Pariser Autosalon 1946 waren zum ersten Mal farbenfrohe Fahrzeuglackierungen zu sehen. Sie konnten aufgrund der neuen organischen Pigmente angeboten werden. Außerdem prägten die damals erfolgreichen, silberfarbenen Rennwagen die Lackierung der Fahrzeuge: Es galt eine Zeitlang als chic, ein Silber- oder Silbergrau-lackiertes Fahrzeug zu besitzen.
Die Alkydharzlacke setzten sich bis nach dem zweiten Weltkrieg in Europa fast vollständig durch. Schließlich ließ sich die Alkyd-Melaminharz-Einbrennlackierung auch am Band mit modernster Lackiertechnologie durchführen. Grundierung und Füller wurden im Hochdruckspritzverfahren aufgebracht, einzelne Hersteller tauchten die Rohkarossen bereits Ende der 50er Jahre. Lediglich besonders teure Luxuslimousinen behielten die Nitrolackierung bis in die Jahre 1963/64, trotz des erhöhten Pflegeaufwands bei dieser Lackart. Die Alkydharzlacke sind chemisch so flexibel und qualitativ so hochwertig, dass sie für die Autolackierung bis in die heute Zeit eine maßgebliche Rolle spielen. Sie bestimmten bald nach ihrem Aufkommen auch den Lackmarkt im Reparaturbereich.
Neue Lackmaterialien
Ab 1963 stand der Lackindustrie mit Polyester ein neuer Grundstoff zur Verfügung. Polyester wurde besonders als Basis für Spachtel unentbehrlich, Nitro- und Kunstharzspachtel verloren an Bedeutung. Auch im Decklackbereich veränderten sich die Inhaltsstoffe: Alkydharzlacke wurden nun mit Isocyanaten versetzt, die die Trocknung schon bei Raumtemperatur gegenüber den Alkyd-Melaminharzlacken beschleunigen. Bei forcierter Trocknung in einer kombinierten Lackier- und Trockenkabine konnte der Lackierer mit dem neuen Lacksystem so viel Zeit einsparen, dass der Kauf der Kabinen von nun an zur wirtschaftlichen Notwendigkeit wurde.
In den 70-er Jahren folgte die 2K-Acryl-Polyurethan-Technologie (Acryl-Stammlack und Polyisocyanathärter), die zwischen 1972 und 1975 die Alkydharzlacke fast völlig vom Markt verdrängte. Diese 2K-Systeme für die Decklackschicht zeichneten sich durch eine wesentlich höhere chemische und physikalische Beständigkeit aus. Die Lacke trockneten schneller und erlaubten, Läufer und Staubeinschlüsse herauszupolieren. Ab Anfang der 70-er Jahre entwickelten die Lackhersteller außerdem einen Grundierfüller, der vor Rost schützte und so das Aufbringen einer speziellen Korrosionsschutzfarbe überflüssig machte.
Neue Wege in der Serie
Auch in den achtziger und neunziger Jahren blieb das Lackieren nach wie vor einer der aufwendigsten Arbeitsgänge in der Automobilproduktion. Bei der Serienlackierung werden bis heute elektrostatische Rotationszerstäuber eingesetzt, um den Füller und die Decklackierung auf die vorbehandelte Karosserie aufzubringen. Dadurch kann viel Material eingespart werden, denn nun landen 90 Prozent des eingesetzten Lacks auch tatsächlich dort, wo sie hingehören, nämlich auf der Karosserie.
Beim konventionellen Hochdruckspritzverfahren dagegen ging die Hälfte als Overspray verloren. Seit Mitte der achtziger Jahre ist die Beschichtung in den Automobilwerken beinahe vollkommen automatisiert. Roboter erledigen die Lackierung, nur ein kleiner Bereich ist noch von Hand zu lackieren: Innenliegende Teile, wie Motor- und Kofferraum, Haubendeckel und Türen werden von Lackierern vorab mit der Pistole gespritzt.
Das zunehmende Umweltbewusstsein der Lackhersteller führte in den 80er Jahren dazu, dass sie eine Reihe von schädlichen Inhaltsstoffen in den Lacken ersetzten. Außerdem wurde der Anteil organischer Lösemittel in den Lacken reduziert, denn diese Stoffe werden unter anderem für den Sommersmog verantwortlich gemacht. 2K-Acryllacke wurden zu lösemittelarmen High-Solids weiterentwickelt. Dabei ersetzt ein höherer Anteil an Festkörpern die Lösemittel. Auch die ersten wasserverdünnbaren Lacke (wie Standohyd Basecoat) kamen auf den Markt, die heute, ein Jahrzehnt später, Standard in der Serie sind und mittlerweile auch in der Reparaturlackierung eingesetzt werden.
Die Reparatur hielt Schritt
Solange Autos existieren, gibt es auch Fahrzeugreparaturen. Dies war für Lackierer von Beginn an eine große Herausforderung. Schließlich sollten Schäden nach der Reparatur nicht mehr erkennbar sein.
Schwierig war im Reparaturfall die Lackierung auf Holzölbasis: Hierfür musste die Werksackierung zunächst abgebeizt werden, da sich der Farbton ja nicht nachstellen ließ. Anschließend wurde das Fahrzeug komplett neu lackiert.
Bei der Erneuerung der witterungsempfindlichen Nitrolacke wurde der Autolackierer ebenfalls vor eine harte Aufgabe gestellt: Er musste aus seinem Vorrat von Grundfarben den richtigen Ton aufwendig zusammenmischen.
Nach Einführung der Nitrokombilacke arbeiteten die Lackierer im Fahrzeugreparaturbereich dann überwiegend mit diesen Produkten, da sie sich problemlos mit den Einbrennlacken der Serienlackierung vertrugen. Bis in die späten 60er Jahre verwendeten Fahrzeuglackierer, die keine Lackier- und Trockenkabine hatten, sogar noch Nitrokombilacke.
Eine Alternative dazu bildete der 80-Grad-Lack für den Reparaturbereich, der sich besonders für die in den 50ern populären Mehrfachlackierungen eignete, weil er schnell trocknete und daher binnen kürzester Zeit überspritzt werden konnte. Sie wurden in Spritzkabinen aufgebracht, in denen die Zuluft gefiltert, temperiert und vertikal zugeführt wurde. Nach und nach eroberte allerdings auch im Reparaturlack-Bereich der Alkyd-Melaminharz-Lack den Markt.
Zwei Komponenten
Ende der 60er Jahre kündigte sich eine grundlegende Veränderung im Grundstoffbereich an: 2-Komponenten (2K)-Epoxid-Grundmaterialien fanden als Primer, Grundierung und Füller zunächst im Nutzfahrzeugsektor, später auch bei der Pkw-Reparatur zunehmenden Einsatz. Während in den 7er Jahren der Lackaufbau der Serienlackierung aus vier Arbeitsschritten (Zinkphosphatierung, Grundierung, Füller und Decklack) bestand, setzte sich im Reparaturbereich zunächst ein dreischichtiger Aufbau – bestehend aus einer phosphorsäurehaltigen Grundierung, einem Füller und dem Decklack – durch. Um die ständig wachsende Zahl von Farbtönen im Reparaturfall nachstellen zu können, entwickelte die Lackindustrie „Farbtonmischsysteme“.
Bei der Reparaturlackierung in den 80ern war aufgrund des mangelnden Deckvermögens bestimmter Pigmente und der Entwicklung neuartiger Effekte in manchen Fällen sogar eine Dreischichtlackierung erforderlich. Dies machte die Reparaturlackierung natürlich sehr viel aufwendiger, denn farbiger Füller, Basislack und (eingefärbter) Klarlack mussten exakt aufeinander abgestimmt werden. Um die Mitte der achtziger Jahre kamen dann die Perleffektlacke auf den Markt und wurden in der Serie eingesetzt. Zumindest in Bezug auf Autofarben sind die 80er und 90er bunte Jahrzehnte. Die Anzahl der Farbtöne und Effekte bei den Autolacken nahm um ein Vielfaches zu und steigt seitdem immer weiter.

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