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Kompetenz ausgebaut

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Kompetenz ausgebaut

Mit der Pulverlackierung hat die Firma Bereiter ihr Angebot abgerundet

MR

Der tonnenschwere Stahlrahmen steigt ganz langsam in die Höhe und schwebt, an Ketten gehalten, per Decken-Schienensystem quer durch die Halle zum Spritzstand. Dort ist das Lackmaterial schon vorbereitet. Direkt aus einem Kunststoffsack wird spritzfertiges weißes Pulver mit einer elektrostatischen Pulverpistole auf den Stahlrahmen gesprüht. Ohne dass dabei viel Overspray entsteht, lagert sich das Pulver innerhalb weniger Minuten gleichmäßig auf dem Metall ab. Schon schwebt der Stahlrahmen weiter zum Trockenofen, der auf 200 Grad aufgeheizt ist. Eine halbe Stunde später ist der Stahlrahmen bereits mit einer glatten Lackschicht überzogen und muss nur noch abkühlen.
Relativ unkompliziert
„Das Pulverlackieren ist in mancher Hinsicht einfacher als die Nasslackierung“, weiß Martin Bereiter aus Bad König/Zell im Odenwald. „Die Vorbehandlung des Untergrundes ist weniger aufwändig, und auch das Spritzen selbst durch das elektrostatische Verfahren relativ einfach zu erlernen und wenig fehlerträchtig.“
Komplizierter ist dagegen das Handling der Teile und die Organisation des Ablaufs. Wie transportiert man ein zu lackierendes Teil am besten? Wie soll es in der Werkstatt bewegt werden? Und schließlich: Wie ist es vor dem Beschichten so aufzuhängen, dass alle zu beschichtenden Partien wirklich erreicht werden? Der Umgang mit diversen Haken und Ösen muss erst erlernt werden. „In der Fahrzeuglackierung sind die Abläufe größtenteils vorgegeben“, beschreibt Martin Bereiter die Situation, „beim Pulvern oder generell in der Industrielackierung ist man viel häufiger auf individuelle Problemlösungen angewiesen.“
Optimaler Ausgleich
Seit 1985 ist der Karosserie- und Lackierbetrieb, den Martin Bereiter gemeinsam mit seinem Bruder führt, auch in der Industrielackierung zu Hause. Die 2006 installierte Pulverlackieranlage bedeutet einen weiteren Ausbau der Kompetenz in diesem Bereich. „Ein zweites Standbein zu haben, ist meiner Meinung nach extrem wichtig“, erläutert Martin Bereiter. „Die Fahrzeugreparatur ist durch starke Auslastungsschwankungen zu einem Geschäft mit vielen Risiken geworden.“ Dazu kommt, dass man es durch die Schadenlenkung immer häufiger mit relativ wenigen Großkunden zu tun hat, die eine ziemlich aggressive Preispolitik betreiben.“
Nische in der Nische
In der Industrielackierung ist dagegen das Spektrum an Auftraggebern extrem breit. „Automobilzulieferer, Metallbau, Maschinenbau, Elektrogeräte, Möbel – Lackierbedarf besteht in sehr vielen Unternehmen“, hat Martin Bereiter erfahren. „Man muss nur herausbekommen, wo.“
Und man muss sich, stärker noch als in der Reparaturlackierung, vom Dienstleister zum Problemlöser entwickeln. Denn oft ist es Aufgabe des Lackierers, das zum Auftrag passende Lackierverfahren und das Material auszuwählen. Und manchmal geht der Auftrag noch über die Beschichtung hinaus. „Bei einem unserer größten Aufträge – Bedienpanels für die Firma Bosch – folgt auf die Beschichtung auch noch die Beschriftung im Siebdruck-Verfahren. Es gibt nur wenige Betriebe, die diese Kombination bieten.“ So muss, wer mit der Industrielackierung Erfolg haben will, gleichzeitig hoch spezialisiert und extrem flexibel sein – was sich nur scheinbar widerspricht.

Extrem vielseitig

Maschinengehäuse, Fahrräder, Fensterrahmen oder Fassadenelemente – all diese Gegenstände werden mit Pulverlacken beschichtet. Aber auch Fahrzeuge werden wie z.B. einige BMW-Modelle mit Pulverklarlacken versehen. Die Gründe dafür liegen zum einen in der besonders hohen Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Beim Lackieren entsteht nur wenig Overspray, und Material, das neben dem Werkstück landet, kann, je nach Applikationsmethode und Anlage, sogar wiederverwendet werden. Dazu kommt, dass Pulverlackieren zu den mit Abstand umweltfreundlichsten Beschichtungsmethoden gehört. Bei der Verarbeitung werden keinerlei Lösemittel freigesetzt. Im Gegensatz zu Flüssiglacken besteht ein Pulverlack ausschließlich aus Festkörpern. Ein typisches Beschichtungspulver enthält 50 bis 60 Prozent Bindemittel, 40 bis 50 Prozent Pigmente und Füllstoffe und ein bis zwei Prozent Additive, die der Beschichtung spezielle Eigenschaften verleihen. Nachdem die Rohstoffe des Pulvers gemischt sind, werden sie im Extruder dispergiert. Das heißt, die Feststoffe und Pigmente werden bei einer Temperatur von ca. 100 Grad in das Bindemittel eingearbeitet. So entsteht eine homogene Masse, die nach dem Erkalten auf eine bestimmte Korngröße vermahlen wird. Damit ist das Pulver bereit, um beim Verarbeiter in trockener Form eingesetzt zu werden.
Die Vorbehandlung der zu beschichtenden Werkstücke entspricht im Wesentlichen derjenigen beim Einsatz von flüssigen Lacken. Sie werden gereinigt, entfettet und je nach Beanspruchung teils phosphatiert. Die Applikationstechnik folgt dem einfachen physikalischen Prinzip, dass sich Teile mit entgegengesetzter physikalischer Ladung anziehen. Das Pulver wird elektrostatisch aufgeladen und auf das zu lackierende geerdete Werkstück gesprüht. Zwischen Spritzpistole und Werkstück entsteht dabei ein elektrisches Feld, dessen Feldlinien den Umgriff der Pulverlacke beeinflussen. Auf Grund ihrer Restladung bleiben die Pulverpartikel dann am Objekt haften. Die Werkstücke werden anschließend von der Beschichtungsanlage zu einem Trockner geführt, wo das Pulver unter Hitzeeinwirkung zu einem glatten Film schmilzt und aushärtet. Die Schichtdicken liegen in der Regel zwischen 30 und 80 µm, wenn lediglich eine dekorative Beschichtung gefragt ist. Soll Korrosionsschutz-Funktion übernommen werden, können auch 200 bis 500 µm gefragt sein.

„Großer Bedarf“

Herr Bereiter, Sie haben ausgehend vom Karosserie- und Lackierbetrieb den Bereich Industrielackierung in den vergangenen Jahren konsequent ausgebaut. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und Synergien zwischen den Bereichen?
Da gibt es weniger, als man denkt. Wenn Autofelgen lackiert werden sollen, geht das beispielsweise sehr gut mit Pulver. Grundsätzlich arbeiten wir aber mit getrennten Mannschaften, die jeweils nur in einem Bereich eingesetzt werden – es sei denn, es besteht in einem Betriebsteil ein personeller Engpass.
Ist die Industrielackierung bei den Mitarbeitern gleich beliebt, oder wird die Fahrzeuglackierung wegen der anspruchsvolleren Aufgaben bevorzugt?
Das würde ich nicht sagen. Die Mitarbeiter sind bis auf ganz wenige Ausnahmen gelernte Fahrzeuglackierer und haben sich freiwillig für den einen oder den anderen Betriebsteil entschieden. Ich denke auch nicht, dass die Fahrzeuglackierung generell anspruchsvoller ist. Das breite Aufgabenspektrum und die Vielzahl von Lackierverfahren – vom Nass bis zum Pulverlackieren, vom Siebdruck bis zum Wassertransferdruck machen auch die Industrielackierung reizvoll. Die hochwertigste Oberfläche, das Hochglanz-Finish, ist allerdings eher im Bereich der Fahrzeuglackierung zu finden.
Welche Farbtöne, welche Effekte sind beim Pulverlackieren möglich?
Bei den Farben und Effekten herrscht beinahe unbegrenzte Vielfalt. Alles ist möglich: Uni- oder Metallic-Farbtöne, lasierende oder deckende, hoch glänzend, matt oder in Hammerschlag-Optik. Der Unterschied liegt darin, dass die jeweiligen Farbtöne fertig ausgemischt sind.
Wie eignet man sich als Anwender die Kenntnisse in der Pulverlackierung an?
Manches aus der Fahrzeuglackierer-Ausbildung lässt sich übertragen. Aber natürlich muss man sich mit der speziellen Thematik beschäftigen. Beim elektrostatischen Spritzen zum Beispiel muss man lernen, wie das elektrische Feld funktioniert, und wie man Faradaysche Käfige vermeidet. Auch wie die verschiedene Effekte zu erzielen sind, lernt man erst mit der Zeit.
Gibt es dabei Unterstützung von den Anlagen- oder den Pulverlackherstellern?
Das gibt es, allerdings vom Umfang und von der Intensität her nicht vergleichbar mit den Schulungen im Bereich der Reparaturlacke.
Mit welchen Investitionen muss man rechnen, wenn man in die Pulverlackierung einsteigen will? Was wäre eine „Basisausstattung“ für Einsteiger?
Das ist schwer zu kalkulieren. Eine Elektrostatik-Spritzanlage kostet vielleicht 5000 Euro, ein kleiner Spritzstand etwa 7000. Der Knackpunkt ist der Ofen, der 200 Grad Hitze bringen muss. Sein Preis hängt stark von der Größe ab, je nach zu lackierender Teilgröße. Aber da gibt es auch Gebrauchte. Und zu guter letzt braucht man auch einen Förderer, irgendein System, um die Teile vom Spritzstand in den Ofen zu bewegen. Insgesamt würde ich sagen, dass man mit relativ geringen Mitteln den Einstieg finden kann.
Wie funktioniert die Kalkulation?
Wir haben von unserem Anlagenhersteller ein Kalkulationsprogramm bekommen, bei dem man anhand der Länge, Höhe und Breite des Werkstücke und der Materialdicke ganz gut arbeiten kann. Auch der Kostenfaktor Energie ist dabei enthalten. Mit komplexen Kfz-Programmen kann man das allerdings nicht vergleichen.
Wie erfolgt die Kundenansprache? Auf welchem Weg gelangen Sie an Aufträge?
Bei uns ist das relativ einfach. Zunächst überlegen wir uns: Was passt auf unsere Anlage? Dann schaut man in der Umgebung, wer was produziert, und fragt nach, ob Lackierbedarf besteht. Bisher hatten wir das Glück, dass sich ein Auftrag aus dem anderen ergeben hat.
Komplett können wir allerdings den Markt noch gar nicht abschätzen. Speziell an der Kombination Siebdruck und Lackieren besteht sicher ein großer Bedarf.

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