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„Die Lackierung genießt höchste Priorität“

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„Die Lackierung genießt höchste Priorität“

Neue Entwicklungen in der Serienlackierung und ihre Auswirkungen auf die Reparatur

Peter Minko ist bei Axalta Coatings Systems Manager Process & Application. Die Abteilung gehört zum Bereich Forschung und Entwicklung und betreut weltweit Kunden aus der Automobilindustrie. Zu ihren Aufgaben gehört es, neue Lacksysteme zur Serienreife zu bringen und Lack-Know-how beim Kunden umzusetzen – zum Beispiel, wenn es um die Inbetriebnahme neuer Lackieranlagen geht. Dabei erfolgt einerseits ein intensiver Austausch mit Autoserien- und Lackieranlagenherstellern, ebenso wichtig ist andererseits der Dialog mit den Experten für Reparaturlack bei Axalta. Wir sprachen mit Peter Minko über neue Lackiertrends bei den Fahrzeugherstellern und ihre Konsequenzen für die Reparaturbranche.

Herr Minko, die Serienlackierung stellt Reparaturlackierer immer wieder vor Herausforderungen – zum Beispiel durch zahlreiche Farbtonabweichungen und -varianten. Warum ist es so schwierig, einen einheitlichen, problemlos reproduzierbaren Farbton zu produzieren?
Die Bandlackierung ist ein komplexer Vorgang mit unterschiedlichsten Einflussfaktoren. Nehmen wir als relativ neue Entwicklung nur einmal die Vielzahl an Untergründen, die durch die Bemühungen um Gewichtseinsparung auch künftig noch weiter zunehmen wird. Früher wurden vor allem Kunststoff und Stahlblech beschichtet, heute gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster Substrate, von Aluminium über Kompositmaterialien bis zu Carbon. Diese Materialien nehmen zum Beispiel bei der Trocknung unterschiedlich schnell unterschiedlich viel Wärme an – was natürlich Auswirkungen auf die Effektausprägung haben kann. Auch die Verlaufseigenschaften von Lacken variieren je nach Untergrund. All das muss berücksichtigt und angepasst werden.
Farbtonschwankungen werden also künftig noch wahrscheinlicher?
Nein, denn die Serienhersteller kennen das Problem ja und entwickeln gemeinsam mit den Partnern aus der Lackindustrie Lösungen. So gibt es heute zum Beispiel sehr wirkungsvolle Kontrollmethoden. Mit so genannten Point Checkern misst man nach der Lackierung an jeder Karosserie die Schichtdicke an 150 Punkten. Und die Schichtdicke ist natürlich maßgeblich verantwortlich für die Farbton- und Effektausprägung. Auch während der Applikation misst in vielen Werken bereits ein Laser die Tröpfchengröße und die Verteilung des Lacknebels. Werden bestimmte Toleranzen überschritten, erfolgt eine automatische Nachjustierung.
Nicht zuletzt trägt die immer weiter fortgeschrittene Automatisierung der Werkslackierung zu einer höheren Farbtonkonstanz bei. Früher gab es einen Mix aus Hand- und Roboterlackierung, heute sieht man praktisch keine Handlackierung mehr. Und die Zahl der Roboter in der Serienapplikation sinkt. Weniger Roboter mit größerem Arbeitsradius beschichten also größere Flächen, sodass sich die Wahrscheinlichkeit von Farbtonschwankungen weiter reduziert.
Lassen sich diese Fortschritte in Zahlen fassen?
Ein für die Fahrzeughersteller entscheidender Richtwert ist die „FROK“-, die „First-Run-OK-Rate“, das heißt, die Zahl der Fahrzeuge, die ohne Nachlackierung beim ersten Mal in Ordnung sind. Vor 20, 30 Jahren lag diese Rate noch bei 60 bis 70 Prozent, heute liegt sie deutlich über 90 Prozent.
Ist aber das, was in der Serie „ok“ ist, auch für den Reparaturlackierer „ok“?
Die intensiven Prüfungen der Qualität drücken ja aus, dass der Anspruch an die Oberflächenqualität ständig steigt. Die Lackierung genießt höchste Priorität. Das schließt die Reparaturlackierung ein.
Welche Rolle spielt der Informationsaustausch zwischen Serien- und Reparaturlackierung?
Eine ganz entscheidende. Wir arbeiten als Forschungs- und Entwicklungsabteilung eng mit den Kollegen bei den Reparatursystemen zusammen, es gibt regelmäßige Abstimmungen und Meetings, in denen wir die Reparaturseite auf Entwicklungen in der Serie vorbereiten – oft schon Jahre, bevor die entsprechenden Materialien in der Serie eingesetzt werden.
Welche Entwicklungen in der Serie werden denn in den nächsten Jahren die Reparaturlackierung beschäftigen?
Da ist natürlich neben der Applikations- und Trocknungstechnik am Band das Design der Motor der Entwicklung. Derzeit sieht es so aus, dass zum Beispiel extrem glatte Oberflächen mit metallischem, chromartigem Effekt gefragt sein werden. Wir brauchen daher Reparaturklarlacke, die ein solches Finish reproduzieren können.
Auch eingefärbte Klarlacke werden stärker eingesetzt werden. Sie sind eine Möglichkeit, Farbtiefe und Brillanz zu steigern – und das zu moderaten Kosten, da keine besonders aufwendigen und kostspieligen Effektpigmente benötigt werden.
Wie steht es mit so genannten funktionalen Beschichtungen? Immer wieder kommen ja selbstheilende oder per Lotus-Effekt selbstreinigende Lacke auf die Agenda?
An den Universitäten und Instituten ist man in dieser Richtung sehr weit. Selbstreinigende Lacke versucht man zu erhalten, indem man die Oberfläche mit Mikrostrukturen versieht, die die Anhaftung von Schmutzpartikeln verhindern. Selbstheilende Lacke werden formuliert, indem in der ausgetrockneten Lackschicht luftdicht abgeschlossene Bläschen platziert werden, die noch flüssigen Lack und flüssigen Härter enthalten. Bei einem Riss oder einem Kratzer vermischen sich die austretenden Komponenten, und die Beschädigung wird „geheilt“. Für beide Arten sind aufgrund der hohen optischen Ansprüche aber Autolacke zunächst keine Pilotanwendungen.
Nun wird ja oft behauptet, die individuelle Bedeutung des Autos nehme in Zeiten von Car-Sharing ab. Auch Elektrofahrzeuge werden tendenziell eher funktionell als repräsentativ wahrgenommen. Deutet aus Ihrer Sicht etwas darauf hin, dass sich für solche Fahrzeuge, die eher den Charakter eines Gebrauchsgegenstands haben, anspruchslose Einfach-Beschichtungen etablieren werden?
Darüber wird immer wieder einmal spekuliert. Unsere Erfahrungen belegen eher das Gegenteil. Die Qualitätsanforderungen werden immer höher; ein neuer Lack muss mindestens die Anforderungen erfüllen, die an den Vorgänger gestellt wurden. Einen Schritt zurück gab es noch nie.
Herr Minko, vielen Dank für das Gespräch. MR

Lacke mit Funktion

Fahrzeuglacke sorgen für die Optik und schützen das Substrat – aber sie können noch viel mehr. Funktionelle Beschichtungen sind auf dem Vormarsch und versehen viele Objekte mit Fähigkeiten, die man von Lacken eigentlich nicht erwarten würde. Die Anwendung am Fahrzeug steht aber oftmals erst am Anfang. Höchste Ansprüche an die Optik und Garantieerwartungen der Kunden machen hier den Einsatz schwieriger als in anderen Branchen. Einige Beispiele:
Lack hält Wärme ab
Es ist bekannt: Dunkle Fahrzeuge heizen stärker auf als helle. NIR-(Nah-Infrarot)- reflektierende Pigmente im Lack tragen dazu bei, dass Infrarotstrahlung zurückgeworfen wird. In Versuchen wurden NIR-reflektierende schwarze Effektlacke mit weißen Lacken verglichen. Bei beiden Beschichtungen wurde eine vergleichbare Wärmeentwicklung im Fahrzeug gemessen. Interessant werden diese Lacke zum Beispiel, wenn es darum geht, Elektrofahrzeuge möglichst leicht zu halten. Die Klimaanlage kann so eingespart werden.
Lack produziert Strom
Als Versuchsprojekt werden mittlerweile Lacke hergestellt, die auch Strom produzieren können. Dabei benutzt man Farben, die das Licht absorbieren und mischt diese gleichzeitig mit einem Halbleiter, zum Beispiel Zink und Nitrat. Dieser Lack kann aus Sonnenlicht tatsächlich Strom produzieren und die Batterie wieder aufladen. Erste Versuche in dieser Hinsicht sind durchaus erfolgreich.
Lack wechselt die Farbe
Per Knopfdruck ändert die Lackierung ihre Farbe. Elektrolumineszenz-Folien können auf jede gewünschte Karosseriefläche geklebt und mit Klarlack geschützt werden. Kombiniert mit unterschiedlichen farbgebenden Schichten und transparenten Elektroden können sie mit Strom zum Leuchten gebracht werden, je nach Spannung in unterschiedlichen Farben. Bei Fahrzeuginnenteilen wurde diese Technik schon angewandt.
Lack repariert sich selbst
In den Lack werden Mikrokapseln mit „Heilungsreagenz“ eingearbeitet, sowohl solche, die Stammmaterial enthalten, als auch solche mit Härter. Bei einem Riss im Lack werden zahlreiche Kapseln mit Lack und Härter verletzt; die Komponenten treten aus, reagieren miteinander und versiegeln so die beschädigte Stelle wieder. Anwendungen finden sich speziell bei Beschichtungen auf Objekten, die konventionell nur sehr aufwendig repariert werden können, z. B. auf Flügeln von Windkrafträdern.

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