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Virtual Reality als sinnvolle Ergänzung zum echten Lackieren

Lackieren Technik
Virtual Reality als sinnvolle Ergänzung zum echten Lackieren

Das Virtual-Paint-System gehört bei Mercedes zum Arbeitsalltag der Auszubildenden

Michael Rehm

Virtuell lackieren: Seit einiger Zeit sind Systeme verfügbar, mit denen man zweidimensional oder, mit einer Virtual-Reality-Brille ausgestattet, dreidimensional Fahrzeugteile beschichtet – allerdings ohne Lack. Das System errechnet Schichtdicken, Gleichmäßigkeit des Auftrags, Materialverbräuche und andere für das Lackieren wichtige Parameter. Bei der Beschichtungstechniker-Ausbildung im Mercedes-Werk Sindelfingen gehört seit drei Jahren eine Virtual-Paint (VP)-Station zum Arbeitsalltag der Azubis. VP ist dabei nur ein Baustein unter vielen, mit denen Mercedes die Digitalisierung in der Ausbildung vorantreibt. „Wir bieten in der Ausbildung zum Schweißer das Virtual Welding an, wo analog zum Virtual Painting der Schweißvorgang am Bildschirm geprobt werden kann“, erklärt Thomas Fuhry, Leiter der Ausbildung & Training Aufbauwerke Mercedes-Benz Operations. „Und bei den Kraftfahrzeugmechatronikern kommt zum Beispiel eine sogenannte HoloLens zum Einsatz, eine Brille, mit der virtuell die Technik eines Fahrzeugs erkundet werden kann.“ Das Arbeiten mit virtueller Technik wird weiter wachsen, ist Thomas Fuhry überzeugt. „Diese Technik macht Spaß, ist flexibel einsetzbar und kann häufig umfassendere und schnellere Einblicke in technische Abläufe und Aufbauten geben, als das am realen Objekt möglich wäre.“ Über die Erfahrungen mit dem VP in Sindelfingen sprachen wir mit Benjamin Marquardt. Er ist Ausbildungsmeister in der Berufsgruppe Verfahrensmechaniker für Beschichtungstechnik.

Herr Marquardt, was waren die Gründe für die Einführung der VP-Station?

Digitale Technik in der Ausbildung ist heutzutage wichtig. Mit der virtuellen Lackierpistole können wir auf spielerische Art Inhalte vermitteln. Und es gibt noch weitere Vorteile: Ständige Verfügbarkeit der Technik, kein Warten auf Trocknungszeiten, keine Pflege und Reinigung der Lackierpistole, kein Materialverbrauch – und nicht zuletzt wird die Ausbildung durch aktuelle Technik attraktiver. Damit ist Virtual Paint nachhaltiger als der echte Lackierauftrag. Für die Azubis ist toll, dass man sofort detaillierte Ergebnisse erhält.

Wie wird das VP-System in der Ausbildung bei Mercedes eingesetzt?

In den ersten Monaten der Ausbildung hilft Virtual-Paint bei der Vermittlung des Grundverständnisses vom Lackieren und wird intensiv genutzt. Wir benötigen keine Kabine oder Schutzausrüstung, so kann man schnell und einfach beginnen.

Das heißt, das VP-System ist bei Ihnen fest in der Ausbildung verankert?

Das Virtual-Paint-System ist fester Bestandteil der Ausbildungswerkstatt und wird nach Bedarf genutzt. Am Anfang der Ausbildung intensiver, aber auch später zur Feinjustierung des Erlernten, oder wenn noch Unsicherheiten bei Lackaufträgen bestehen. Grundsätzlich kann VP jederzeit von den Auszubildenden genutzt werden. Aber es gibt auch noch weitere Einsatzmöglichkeiten. Bei uns können Schülerprakti-
kanten das Virtual Paint unter gleichen Voraussetzungen wie unsere Azubis nutzen. Wir gehen auch auf Jobbörsen und Messen und besuchen lokale Schulen, um den Beruf und die Ausbildung vorzustellen. Außerdem unterstützen wir bei internen Events.

Wie ist das Echo bei den Auszubildenden? Ist das ein Weg, „digital Natives“, den Beruf des Verfahrensmechanikers für Beschichtungstechnik schmackhaft zu machen?

Das Echo ist durchweg positiv. Die Auszubildenden finden gut in die Materie des Lackierens hinein. Das Handling der Pistole ist genauso wie beim echten Lackiervorgang. Insbesondere neue Auszubildende fühlen sich viel sicherer, weil sie Abstände und Winkel der Pistole und die Geschwindigkeit des Auftrags entspannt üben können. In den ersten Wochen wird das Gerät mit etwa 15 Versuchen pro Tag und Auszubildenden genutzt.

Gab es anfänglich Skepsis bei den Auszubildenden oder den Ausbildern zu überwinden?

Anfangs sind die Auszubildenden ein wenig aufgeregt, aber immer neugierig. Man bekommt Hightech in die Hand und will nichts falsch machen. Aber meist werden Berührungsängste schon beim ersten Versuch überwunden. Aus Ausbildersicht überzeugt das Gerät: Die Azubis lernen von Anfang an, Verantwortung für das wirtschaftliche Handeln zu übernehmen. Ohne die Umwelt zu belasten, üben sie freiwillig und regelmäßig.

Wieviel Raum nimmt die Auswertung der Ergebnisse ein? Wie erfolgt diese?

Da die Ergebnisse sofort vorliegen, werden sie auch sofort betrachtet. Je nach Aufgabe mal detaillierter, mal zügiger in der Gruppe, aber auch sehr ausführlich. Das System stellt detaillierte Auswertungen zur Verfügung: Verbrauchtes Material in Euro und Menge, minimale und maximale Schichtdicke, farbliche Darstellung des Ergebnisses über zu niedrige, exakte und zu hohe Schichtdicke, durchschnittlicher Abstand zum Objekt, Auftragswinkel, Auftragswirkungsgrad und vieles mehr.

Wie „praxisnah“ sind die Ergebnisse?

Die Ergebnisse kommen an die Realität heran. Deswegen nutzen wir das Gerät auch so intensiv.

Wir haben auf der Lackiererblatt-Facebookseite das VP vorgestellt und die User nach ihrer Meinung befragt. Ergebnis: Überwiegend Skepsis der Praktiker. Was würden Sie da entgegnen?

Für uns ist das Virtual-Paint-System eine sinnvolle Ergänzung zum praktischen Arbeiten, um ein Gefühl für den Lackauftrag zu vermitteln. Und die Nachfrage ist auch nach drei Jahren noch hoch. Aber natürlich lackieren die Auszubildenden auch ganz klassisch unter realen Bedingungen an diversen Karosseriebauteilen.

Eignet sich VP für die Ausbildung im
Industrieunternehmen in besonderem Maße? Wenn ja, warum?

Wir bieten aktuell zwölf Ausbildungsplätze zum Verfahrensmechaniker für Beschichtungstechnik an. Dazu kommen zwanzig Schülerpraktikanten. Durch die Nutzung des Virtual Paint Systems entstehen uns nicht nur wirtschaftliche Vorteile, weil wir weniger Material verbrauchen. Nicht alle Auszubildenden können gleichzeitig praktische Übungen vornehmen. Das Warten bei Trocknungszeiten beispielsweise kann mit dem Virtual-Paint-System sinnvoll überbrückt und eine Unsicherheit direkt durch Übung überwunden werden. Die Anschaffung der Technik ist sicher erst dann richtig rentabel, wenn sie entsprechend intensiv zum Einsatz kommt. Das ist bei uns der Fall.


Laura Arnold (links) und Kristin Selina Elbert schätzen die Arbeit mit dem VP-System als Ergänzung zum echten Lackieren. Foto: Daimler AG

„Super bis mega“

Über ihre Erfahrungen mit dem VP-System sprachen wir mit den beiden Mercedes-Auszubildenden Laura Arnold und Kristin Selina Elbert.

Haben Sie bei Antritt der Ausbildung damit gerechnet, an so einem Gerät zu arbeiten?

Laura Arnold: Nein. Ich kannte das Virtual-Paint-System nicht und war überrascht, aber sehr neugierig, da ich schon gehofft habe, mit neuen Technologien arbeiten zu können. Zudem bin ich sehr von dieser Lernmethode überzeugt.

Wie finden Sie es?

Laura Arnold: In meinem Jahrgang finden es alle super bis mega.

Was macht mehr Spaß: Echt oder virtuell lackieren?

Kristin Selina Elbert: Das kommt drauf an: Mit den Praktikanten und unseren Kollegen macht es immer großen Spaß, im Wettkampf zu üben. Das ging auch schon mal bis in die Pausen hinein. Man freut sich über eine möglichst hohe Punktezahl. Aber eine echte Tür zu lackieren ist auch richtig toll. Das Gefühl, in der Kabine zu stehen, den richtigen Flow zu finden und ein echtes Ergebnis mit Verlauf und Glanz zu erhalten, das macht stolz.

Sollte das VP-System noch mehr Raum einnehmen in der Ausbildung?

Kristin Selina Elbert: Der Anteil ist optimal. Wenn wir zwischendurch mal Zeit haben, können wir das Gerät immer nutzen. Es steht immer zur Verfügung – zum Beispiel, um Trocknungszeiten zu überbrücken.

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