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Sachte, sachte

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Sachte, sachte

Gundula Tutt setzt bei der behutsamen Oldtimerrestaurierung auf historische Materialien

Wenn Oldtimer-Karosserien restauriert werden, gibt es kaum Kompromisse. Komplett wird meist die alte, nicht mehr intakte Lackierung abgeschliffen oder abgelaugt. Wo immer sich dann Rost zeigt, wird er weggestrahlt. Das blanke Blech baut man anschließend wieder auf, trägt modernen Spachtel, Füller und Decklack auf – natürlich im vorgegebenen, historisch korrekten Farbton – und irgendwann steht dann ein Fahrzeug in der Werkstatt, das, wenn alles richtig gemacht wurde, genau so ausschaut, wie es vor vielen Jahrzehnten vom Band gerollt ist. Ein echtes Original eben. Oder doch nicht? Was ist das eigentlich, ein Original, fragen sich immer mehr Oldtimerfreunde. Ein eigentlich historisches und doch scheinbar neues Fahrzeug? Oder gehört zur Historie eines Autos nicht auch die Patina, die es mit den Jahren angesetzt hat? Sollte man einem Oldtimer seine Geschichte, die Spuren, die die Zeit hinterlassen hat, nicht ansehen können?

Eine wachsende Zahl von Oldtimerfreunden ist dieser Meinung, und bei Oldtimertreffen und Prämierungen steigt die Zahl der Fahrzeuge, die in der Kategorie „unrestauriert“ an den Start gehen. Dass auch solche Fahrzeuge nicht ganz ohne Zutun fahrbereit und präsentabel sind, liegt auf der Hand. Oberste Devise lautet hier aber, behutsam, punktuell und unter Erhalt von soviel historischer Substanz wie möglich vorzugehen.
Frage der Verträglichkeit
Genau dies ist die Domäne von Gundula Tutt. Die Diplomrestauratorin ist eher durch Zufall in die Oldtimer-Szene geraten. Ihr früherer Kollege – und jetziger Kompagnon – ist Oldtimer-Liebhaber und wurde einst vom Besitzer eines Bugatti gefragt, wie er denn die Karosserie seines Wagens möglichst schonend, punktuell und unter Erhaltung der Patina der Karosserie ausbessern könne. „Eine Vorkriegs-Lackierung instandzusetzen und gleichzeitig größtenteils zu erhalten – das erschien uns zunächst wie die Quadratur des Kreises“, erinnert sich die gebürtige Stuttgarterin Tutt, „denn es ist ja kein Zufall, dass bei der Restaurierung von Oldtimern üblicherweise beim blanken Blech begonnen wird. Moderne Lackmaterialien vertragen sich einfach nicht mit den damals verwendeten Nitro- nd Kutschenlacken. Es kommt zu Rissen und Aufquellungen des vorhandenen Lackes. Und selbst wenn eine Ausbesserung im ersten Moment gelingen würde – kein Lackierer könnte eine Garantie für eine solche Arbeit übernehmen.“ Aber Gundula Tutts Ehrgeiz war geweckt. Was bei der Restaurierung von Gemälden gang und gäbe ist, sollte doch auch bei Autolacken möglich sein: Exakt die Materialien zu finden, mit denen früher gearbeitet wurde, oder eben mit Hilfe der alten Rezepturen die Originallacke zu rekonstruieren. Mit kriminalistischem Ehrgeiz machte sich auf die Suche nach alten Handbüchern, Fachzeitschriften und Lackmusterheften, sie durchsuchte Farbtonarchive und knüpfte intensive Kontakte zu Lackherstellern und Automobilfirmen. Gleichzeitig durchforschte sie den Markt nach Quellen für Rohstoffe wie Bindemittel, Lösemittel und Pigmente.
Dass die Herstellung von Lacken nach historischen Rezepten nicht einfach sein würde, war Gundula Tutt klar: „Bestes Beispiel sind die Nitrolacke, die bis in die frühen 60er-ahre verwendet wurden. Zellulosenitrat in ungelöstem Zustand zu kaufen war nicht möglich, denn dabei handelt es sich ja um Sprengstoff. Also musste ich Firmen finden, die den Stoff, wenn auch für völlig andere Zwecke, in gelöster Form verkaufen.“ Ähnlich schwierig gestaltete sich die Suche nach den Original-Pigmenten, zum Teil so exotischen wie Fischsilber. Doch irgendwann machte sie sich, mit Kugelmühle, Laborwaage und jeder Menge Enthusiasmus ausgestattet, an die Produktion ihrer ersten Mini-Charge Nitrolack. Etliche Versuche waren nötig, bis eine Lackqualität erreicht war, die ihren hohen Ansprüchen genügte. Dass die Restaurierung von Original-Oberflächen eine Nische im Oldtimermarkt darstellt, wurde aber schnell klar. So gründete Gundula Tutt ihre Firma Omia, die sich seitdem mit der behutsamen, authentischen Restauration von Oberflächen an Oldtimern befasst.
Nur für den Eigenbedarf
Die Lacke, die die Restauratorin in ihrer Firma herstellt, darf sie nur durch eine Ausnahmeklausel der VOC-Gesetzgebung verwenden, nach der das In-Verkehr-Bringen nicht konformer Materialien im Falle kulturhistorisch interessanter Objekte erlaubt ist. Im Klartext: Sie kann auf dieser Basis solche Lacimaterialien, die sie selbst in Kleinmengen zusammenstellt, für ein Restaurierungsprojekt benutzen. Dabei hat sie mit zwei Schwierigkeiten zu kämpfen – zum einen muss die vorhandene Lackschicht genau analysiert werden, um verträgliche Reparaturmaterialien zu finden. Oft gibt es keine zuverlässigen Informationen über die vorhandene Beschichtung, denn anders als heute wurden viele Vorkriegsfahrzeuge nicht im Automobilwerk komplett beschichtet. Autofirmen wie Bugatti lieferten häufig nur das Chassis, auf dem dann spezialisierte Werkstätten nach den Wünschen des Besitzers eine individuelle Karosserie aufbauten. „Alle damaligen Fahrzeughersteller und auch die Lackfirmen hatten Rezeptvarianten und eine Pallette von Standardfarbtönen im Programm“, erklärt Gundula Tutt. „Die wurden aber in der Lackiererei oft noch nach den Vorlieben der Auftraggeber farblich abgemischt. Außerdem haben sich die ursprünglichen Farbtöne durch die Alterung bis heute mehr oder weniger stark verändert. Auch wenn solch eine Fahrzeugoberfläche auf den ersten Blick gleichmäßig aussieht, variiert der Farbton meistens deutlich, beispielsweise zwischen waagerechten und senkrechten Flächen.“ Anders als bei kompletten Neulackierungen erfordern Gundula Tutts punktuelle Reparaturen eine optimale Angleichung des Farbtons. Keine leichte Aufgabe, denn die Rezepturen wurden früher regelrecht geheim gehalten. Selbst wenn eine Originalrezeptur vorliegt, kann sie nicht eins zu eins übernommen werden, denn damit eine Ausbesserung langfristig unsichtbar bleibt, versieht Tutt ihre Lacke mit Lichtschutzmitteln. „Nitrolacke gilben im UV-Licht, außerdem ist es möglich, dass die Pigmente ausbleichen – oder beides passiert gleichzeitig. Der Prozess ist wohl nie ganz abgeschlossen, schwächt sich aber mit der Zeit ab. Darum verwende ich nur die lichtech- testen Pigmente und mische ein Lichtschutzmittel dazu. Bei meiner Retusche werden die Ausbleich-Effekte dadurch extrem reduziert – und die alten Lacke haben die Phase der heftigen Veränderungen ja schon hinter sich.“
Dass bei Tutts Art zu restaurieren Kompromisse und individuelle Lösungen gefragt sind, liegt auf der Hand. Umso akribischer muss mit dem Kunden besprochen werden, welche Arbeiten mit welchem angestrebten Ergebnis im Laufe der Restaurierung erforderlich sind.
Sorgsam dokumentieren
„Werkstätten übernehmen Garantien üblicherweise nur für einen kompletten Aufbau, aber genau den wollen meine Kunden ja nicht. In der Regel mache ich daher eine ganz exakte Bestandsaufnahme des Lackes. Dann wird definiert, welche Flächen lediglich konserviert und welche neu beschichtet werden. Da spürt man schnell, bis zu welchem Punkt der Kunde mitgeht. Nitrolack muss ich nun mal pflegen, und er verträgt sich nicht mit scharfen Reinigern. “ Natürlich werden die Kundengespräche protokolliert und vom Auftraggeber abgezeichnet. Gundula Tutt kann sich aber kaum an Konflikte im Zusammenhang mit einer Restaurierung erinnern: „Meist kommen zu mir ja Oldtimerbesitzer, die ihr Auto bisher vor einer Restaurierung zurückgehalten haben, weil ihnen gesagt wurde, man müsse es komplett abstrahlen und wieder neu lackieren. Entsprechend froh sind sie, wenn man ihnen zeigt, dass es auch anders geht – ganz behutsam.“ MR

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