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Als die Werkstatt digital wurde

Technik
Als die Werkstatt digital wurde

25 Jahre Branchensoftware – ein Blick zurück

Stefan Endres

Kaum eine Entwicklung hat die Werkstätten und das Reparaturgeschäft mehr verändert als der Einzug der EDV in die Schadenwelt. Mit zwei Urgesteinen aus der Branche werfen wir einen Blick in die Zeit zurück, in der Papier und Schreibmaschine durch klobige graue Kästen und lautstarke Nadeldrucker ersetzt wurden. Die Gesprächspartner unseres Interviews, Marco Senger und Helmut Käfer, sind zwei Branchen-Urgesteine, die die digitale „Revolution“ in der Schadenwelt in den 80er und 90er-Jahren erlebt und mitgestaltet haben. Marco Senger war lange Zeit Mitgeschäftsführer und Vertriebschef der KSR EDV-Ingenieurbüro GmbH und ist heute operativer Geschäftsführer des BVdP. Helmut Käfer war bis 2008 Mitgeschäftsführer und Entwicklungschef der Universal Consulting Software GmbH (UCS) und ist heute Inhaber des Logistik- und Servicedienstleisters UCC.
Herr Käfer, Herr Senger, wenn Sie 25 Jahre zurückdenken, wie sah denn damals die Schadenkalkulation in den Reparaturbetrieben aus, welche Systeme wurden genutzt?
H. Käfer: Am Anfang standen die analogen Kalkulations-Bücher von Eurotax Schwacke und DAT. Anfang der 90er- Jahre verwendeten allerdings schon über 1.000 K&L-Fachbetriebe eine computergestützte Schadenskalkulation. Davon hatten etwa 500 Betriebe UCS-Programme im Einsatz mit Zugriff auf Kalkulationsdaten von Eurotax Schwacke. Diese Daten wurden auf Disketten ausgeliefert. Die Integration der Audatex-Kalkulation erfolgte bei UCS um 1993 herum, die entsprechenden Daten für Karosserie- und Lackierarbeiten, nach Herstellervorgaben und nach AZT, wurden auf CD zusammen mit Typenbogen ausgeliefert.
M. Senger: Zu Beginn meiner Tätigkeit kalkulierten viele Betriebe noch manuell, es gab die Schwacke- und DAT-Bücher. Auch war es damals durchaus Praxis, grob über den Daumen zu kalkulieren und dem Kunden Preise aus dem Bauch heraus zu nennen. Bei Regiearbeiten wurde oftmals einem Lackierbetrieb die Preise vom Auftrag gebenden Autohaus vorgegeben.
Wann und wie entstand überhaupt der Ansatz, Computer zur Reparaturkalkulation einzusetzen? Gibt es Ereignisse oder Meilensteine, die den Einzug der EDV in die Werkstattbetriebe nachhaltig befördert haben?
M. Senger: Die Datenanbieter Audatex, DAT und Schwacke führten digitale Kalkulationsmodule ein und boten Softwareherstellern Kooperationen an. Dadurch entstanden immer mehr Managementprogramme, die digitale Kalkulationen und den Ausdruck von Kostenvoranschlägen und Rechnungen ermöglichten. Mitte der 90er-Jahre gab es über 10 namhafte Softwareanbieter.
H. Käfer: Es gibt zwei wesentliche Voraussetzungen. Das war zum einen die Verfügbarkeit von EDV-geeigneten Kalkulationsdaten für Fahrzeug-Lackierarbeiten und Karosseriereparaturarbeiten. Und zum anderen die Verfügbarkeit von bezahlbaren, leistungsfähigen Mini-Computern. Bereits in den 80ern konnten wir die Kalkulationsdaten, die vom AZT in Zusammenarbeit mit Eurotax Schwacke ausgearbeitet und in Buchform vermarktet wurden, für Lackier- und Instandsetzungsarbeiten als Datensätze computergerecht beziehen. DAT war ein weiterer Anbieter von Kalkulationsdaten in Form von Büchern und später auf CD-ROM, als SilverDAT. Dazu kam dann Audatex, seit der Gründung vor etwa 50 Jahren Anbieter einer EDV-gestützten Online-Kalkulationslösung für Sachverständige auf Basis der Fahrzeughersteller-Daten und der Werkstatthandbücher, die gegen Ende der 70er-Jahre auch für große Fahrzeuglackier- und Karosseriebetriebe verfügbar war.
Wie schwer oder einfach war es damals, mit einem EDV-System im klassischen Werkstattbetrieb aufzutauchen und den grauen Kasten als tatsächliche Unterstützung „schmackhaft“ zu machen?
H. Käfer: Es war ziemlich anstrengend, in der Anfangsphase die ersten 100 Systeme bundesweit in den Markt zu bringen. Aber die eigentlichen Vorteile der neuen EDV-Systeme waren für die Reparaturbetriebe offensichtlich. Das Interesse war groß, denn hinter dem AZT-Kalkulations-System steckte ja die Allianz, die das System mit den Fahrzeuglackierer-Fachverbänden offiziell abgestimmt hatte. Durch das AZT-Kalkulationsverfahren kamen Plausibilität und Nachprüfbarkeit in die Rechnungen, und das Kalkulieren wurde auf einen Bruchteil der vorherigen Zeit reduziert. Von Vorteil war, dass der Apple II fast wie eine Schreibmaschine aussah und dass man die Eingaben alle am Bildschirm sehen konnte.
M. Senger: Anfangs war es schwer, dem „Handwerker“ die Angst vor dem Computer zu nehmen. Zudem gab es oftmals in der Werkstatt noch gar keine Hardware. So waren wir damals gezwungen, nicht nur intensiv zu beraten, sondern auch Komplettpakete inclusive Hardware anzubieten. Somit brauchte es Allrounder in Vertrieb und Servicetechnik, die in allen Soft- und Hardwarefragen Antwort geben konnten und die natürlich auch eine Ahnung vom Reparaturgeschäft haben mussten. Darüber hinaus mussten die Handwerker, die nun erstmalig mit einem Büro-PC konfrontiert wurden, von uns intensiv geschult werden.
Welche Player oder Datenlieferanten waren nach Ihrem Dafürhalten die treibenden Kräfte bei der Verbreitung elektronischer Kalkulations- und Managementsysteme?
M. Senger: Vorwiegend waren das Firmen wie ACS (Audatex), UCS, AT-Soft, Glasurit und KSR, wobei letztgenannter Anbieter erst 1994 in den Vertrieb einstieg, die anderen jedoch schon im Markt etabliert waren. Es liegt auch auf der Hand, dass die elektronische Kalkulation natürlich von Anfang an auch im Interesse der Versicherungswirtschaft lag.
Helmut Käfer: Neben den Datenanbietern, den Entwicklern der Managementsysteme oder Lackherstellern, die frühzeitig die Bedeutung der EDV-Kalkulation erkannten, sind die wichtigsten Treiber die Versicherer, die heute von den Lackier- und Karosseriebetrieben solche verlässlichen Kalkulationen in Verbindung mit schnellstmöglichen Schadensmeldungen und -Abrechnungen über das Internet (Cloud) fordern.
Wie muss man sich denn einen typischen EDV-Arbeitsplatz im K+L-Fachbetrieb Anfang der 90er-Jahre vorstellen? Mit welchen Speichermedien konnte man denn der Kalkulationsdaten Herr werden?
H. Käfer: Die damals verfügbaren Klein-Computer von Apple waren vom Platzbedarf her nicht größer als eine Schreibmaschine. Auf das Grundgerät mit integrierter Tastatur wurde dann der kleine, monochrome Monitor (grün) gestellt, daneben standen aufeinander die beiden Diskettenlaufwerke – 5 1/4 Zoll, mit 160 kB Kapazität! Etwas mehr Platz benötigte der Nadeldrucker, aber dafür gab es spezielle Druckerständer, die das Platzproblem mit den Endlosformularen beseitigten.
M. Senger: Es war die Zeit der klobigen Monitore, der klassischen PCs samt Diskettenlaufwerken. Als Speichermedium diente bald die fest eingebaute Festplatte, die Kapazitäten waren verglichen mit heute lächerlich klein, reichten damals jedoch aus. Die Daten wurden meist monatlich oder einmal im Quartal an die Anwender per Post verschickt und mussten dann vor Ort im Betrieb eingespielt werden. Zuerst noch als Diskettenpaket, dann als CD und DVD.
Wie lautet Ihr persönliches Fazit der letzten 25 Jahre EDV in der K&L-Branche?
M. Senger: Aus Sicht der Werkstätten gab es früher eine viel größere Auswahl an Anbietern von Softwareprogrammen, im Laufe der Zeit gaben viele davon auf oder wurden, hauptsächlich von Audatex, gekauft bzw. übernommen. Lief anfangs noch alles lokal auf dem Rechner des Betriebs, kamen immer mehr Online-Schnittstellen hinzu. Der Trend geht heute klar hin zu mobilen Anwendungen und zu reinen Online-Programmen, gebremst wird diese Entwicklung momentan noch von der unterschiedlichen Verfügbarkeit von schnellem Internet, aber das wird gelöst werden. Klar ist, dass der Aufwand für Installationen und Aktualisierungen dabei deutlich sinken wird.
H. Käfer: Für mich war als Geschäftsführer der UCS und der AT-Soft das Arbeiten in dieser Branche eine große Chance, Dinge immer weiter zu entwickeln, die einen hohen Nutzen für die Kunden haben. Neben der kreativen Arbeit der Programmentwicklung hatte ich in der UCS einen weiteren Schwerpunkt auf die Betreuung der Kunden bei Fragen rund ums Programm und zu Hardware-Problemen gesetzt und eine leistungsfähige, kompetente Hotline-Gruppe aufgebaut. Die aktuellen Anbieter haben in den vergangenen zehn Jahren ihre Angebotspalette stark ausgeweitet und bieten zusätzlich Kommunikations-Plattformen für alle am Schadengeschehen Beteiligten an.
Herr Käfer, Herr Senger, vielen Dank für das Gespräch.

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