Startseite » Design »

Rostige Raritäten

Design
Rostige Raritäten

Kasseler Ausstellung zeigt automobilhistorische Kostbarkeiten – die meisten sind unrestauriert

Michael Rehm

Wer eine Oldtimer-Ausstellung organisiert, hat immer das Problem zu lösen, wie er die Fahrzeuge von ihren jeweiligen Standorten zum Ausstellungsort transportiert. Bei der Ausstellung „Schlafende Automobile – schön und unberührt“, die bis zum 31. Juli in Kassel gezeigt wird, standen die Veranstalter in dieser Hinsicht vor ganz speziellen Schwierigkeiten. „Gleich bei mehreren der 40 Fahrzeuge mussten wir mit äußerster Sorgfalt vorgehen, um die Autos überhaupt auf den eigenen vier Rädern stehend – nicht rollend, geschweige denn fahrend – transportieren zu können“, erklärt Heinz W. Jordan, einer der beiden Ausstellungsmacher. „Bei anderen Fahrzeugen, die ebenfalls gut in die Ausstellung gepasst hätten, wäre das Risiko, dass sie beim Transport oder schon beim Anheben Beschädigungen bis hin zum Rahmenbruch erleiden, viel zu groß gewesen.“ Keine Frage: Von den hochglanzpolierten, perfekt durchrestaurierten Fahrzeugen, die bei Oldtimertreffen à la Pebble Beach oder Villa d´Este die Schönheitspreise abräumen, sind die Fahrzeuge in Kassel meilenweit entfernt. Außer Frage steht aber auch, dass es sich bei dieser exquisiten Kollektion historischer Automobile um echte Schätze, wenn auch um äußerst fragile, handelt. Dass die Fahrzeuge in Kassel zu sehen sind, kommt einer Sensation gleich. Beinahe alle Exponate stammen aus der weltberühmten Kollektion der Gebrüder Schlumpf, die vor allem in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts Hunderte von Oldtimern zusammengetragen und in ihrem Privatmuseum im elsässischen Mulhouse versammelt hatten. Allerdings stammen die jetzt gezeigten Autos nicht aus dem Schauraum, sondern aus der Reserve des Musée Schlumpf. Etliche Fahrzeuge sind, zurückhaltend ausgedrückt, unrestauriert. Man könnte auch sagen, sie sind halb zerfallen. Wer glänzenden Chrom und schimmernde Nitrolacke sucht, der sucht vergeblich.
Anfassen oder nicht
„Als wir zum ersten Mal von Richard Keller, dem Kurator des französischen Automobilmuseums in Mulhouse, in die Hallen mit den noch unberührten Fahrzeugen geführt wurden, verschlug es uns schlichtweg den Atem“, erinnert sich Heinz. W. Jordan. In riesigen Hallen lagern hier unvorstellbare automobile Schätze, zahlreiche Bugattis, Benz, Maybachs und Minervas. In Hallen ohne Beleuchtung stießen die Besucher beim Schein ihrer Taschenlampen auf Maserati-Rennwagen aus den 30er-Jahren, oder einen Mercedes 154 II, gefahren noch von Brauchitsch, Caracciola, Lang und Seaman. „Uns drängten sich so viele Fragen auf“, erzählt Heinz W. Jordan. „Was macht man mit solch einem Fundus? Wer hat so viel Geld, all diese Fahrzeuge restaurieren zu lassen? Darf man so etwas überhaupt anfassen?“
Gebrauchsspuren gewollt
Speziell die letzte Frage hat im Zusammenhang mit der so genannten „Charta von Turin“ (siehe Interview) an Bedeutung gewonnen. So gibt es bei der Beschäftigung mit Oldtimern eine Tendenz, die Historie eines Fahrzeugs stärker in den Vordergrund zu rücken, statt den technischen und optischen Bestzustand herzustellen. So wie ein Restaurator sich sehr gut überlegen würde, ob er bei einem wertvollen Gemälde Rußspuren entfernt, sodass die Farben leuchten wie am ersten Tag, muss sich auch der Restaurator eines Fahrzeugs sehr genau fragen, wie viel – zugebenermaßen – zerstörte Substanz er zu Gunsten einer Wiederherstellung des scheinbaren Ursprungszustands opfern darf.
Das bedeutet nicht, dass Fahrzeuge völlig unberührt gelassen werden. Immer stärker ist aber anstelle einer kompletten Durchrestaurierung, die historische Spuren verwischen könnte, eine Konservierung gefragt. Ein Beispiel für diesen Trend ist auf der Kasseler Ausstellung zu besichtigen: ein De Dion Bouton aus dem Jahr 1922, auf den ersten Blick nicht viel weniger hinfällig als die Fahrzeuge ringsum. Wer genau hinschaut und -fühlt, erkennt aber, dass die Oberflächen anders sind als die der anderen Fahrzeuge. Korrosion ist noch sichtbar, aber sie wurde aufgehalten, Ledersitze wurden nicht ersetzt, sondern gereinigt und geflickt. Vom Holzlenkrad bis zum Reifengummi wurden Konservierungsmethoden angewandt, die nicht den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, sondern den momentanen einfrieren. Der finanzielle und handwerkliche Aufwand für solch eine behutsame Restaurierung kann dabei durchaus gleich hoch sein wie der für eine „klassische“ Restaurierung. Dazu kommt, dass die Oldtimerbesitzer umdenken müssen. Zum Beispiel bei der Lackierung. Während eine moderne Lackierung es erlaubt, ein restauriertes Fahrzeug wie ein modernes zu nutzen, bleiben die kunstvoll konservierten Flächen empfindlich. Aus einem im Prinzip fahrbaren Oldtimer wird ein technisches Kulturgut mit hohem historischem Wert. Und nicht nur mit historischem. Auch bei der Taxierung des finanziellen Werts von Oldtimern scheint es einen Trend zu Gunsten des Originalen, Unrestaurierten zu geben.
So sind in Kassel auch zwei Alfa Romeo 6C 1750 GS zu bestaunen, der eine Baujahr 1931, der andere 1932. Der eine leuchtend rot, in den 70er-Jahren nach damaligen Maßstäben und dem Stand der Technik restauriert. Der andere eine Automobilruine, nicht viel mehr als Motor, Chassis, Räder, Reifen. Welches der beiden Fahrzeuge heute höher bewertet wird, traut sich Heinz W. Jordan kaum einzuschätzen: Sein ganz persönlicher Tipp: Das rostige.

Lackhistorische Zeitreise – BASF Coatings analysiert Oldtimer-Beschichtung

Kann man Erkenntnisse über den originalen Lackaufbau und die verwendeten Materialien gewinnen, wenn die Lackierung sozusagen „in grauer Vorzeit“ liegt? Genauer gesagt: in die Anfänge des 20. Jahrhunderts fällt? Und eignen sich moderne Untersuchungsmethoden, um Licht in die Geschichte der Automobillackierung zu bringen? Dies waren die Fragen, auf die die Experten der Analytik bei der BASF Coatings Antworten suchten. Die Expedition in die Vergangenheit der Lackbeschichtung fand im Rahmen der Ausstellung „Schlafende Schönheiten“ statt. Die BASF sponsert mit ihrer Autoreparaturlackmarke Glasurit die Ausstellung und stellt dort auch die aktuellen Ergebnisse vor.
Rückblick: Ende April standen im Foyer des Refinish Competence Centers von Glasurit in Münster zwei besonders spektakuläre Oldtimer: ein TH. Schneider von 1912 sowie ein Delahaye aus dem Jahre 1924. Die beiden automobilen Raritäten legten hier nur einen kurzen Zwischenstopp ein, um dem Team der BASF Coatings eine lackhistorische Zeitreise zu ermöglichen. Wenige Tage später ging es für die antiken Fahrzeuge aus der legendären Sammlung Schlumpf weiter Richtung Kassel. Die Idee, Oldtimer auf ihre originale Lackierung hin zu untersuchen, entwickelten Richard Keller, Konservator im französischen Museum, und Jürgen Book, Glasurit Oldtimer-Experte.
Um die Schutzschicht der automobilen Kostbarkeiten nicht zu beschädigen, arbeitete das Team um Projektleiter Dr. Christoph Hawat nur mit kleinsten, abgesprengten Partikeln. Eine der größten Herausforderungen war es dabei, die Proben, die quasi unter der Hand zerbröselten, für die Analyse aufzubereiten. Dass dies gelang, war keinesfalls selbstverständlich, sondern Ergebnis von Erfahrung und im wahrsten Sinne des Wortes viel Fingerspitzengefühl. So gelang es etwa, von einem Lacksplitter einen Querschliff anzufertigen, der wichtige Aufschlüsse über die Bestandteile des Lacks lieferte.
Beide Oldtimer verfügen über einen Multischichtaufbau mit bis zu neun Schichten Lack, die sehr gleichmäßig aufgetragen wurden. „Vier bis sechs Wochen könnte sich der gesamte Lackierprozess wohl hingezogen haben“, mutmaßt Book. Auch die anorganische Analyse förderte Informatives zutage. „Wir konnten in den einzelnen Lackschichten selektiv verschiedenste Einsatzstoffe wie Schwerspat, Silikate und Calciumcarbonat nachweisen, die man auch heute noch in der Lackierung vorfindet“, erzählt Hawat. Hauptbestandteile der farbgebenden Schicht waren unter anderem Bleipigmente. In der ursprünglichen Lackierung des TH. Schneider konnte man sogar ein Blaupigment identifizieren, das unter dem Namen „Preußisch-blau“ bekannt ist. „Wir haben das Fenster weit in die Vergangenheit geöffnet“, lautet das Fazit von Dr. Christoph Hawat. Jürgen Book ist denn auch fest davon überzeugt, dass dieses Projekt die Initialzündung für weitere Analysen historischer Fahrzeuge sein wird.

Konservieren, restaurieren oder stehen lassen?

Interview mit Oldtimerexperte Jürgen Book
Michael Rehm
Die FIVA ist der Weltdachverband der Oldtimer-Clubs und sieht sich als Interessenvertreter aller Oldtimer-Besitzer weltweit. Auf ihrer Generalversammlung am 27. Oktober 2012 in München hat sie die viel diskutierte „Charta von Turin“ verabschiedet. Sie liefert erstmals weltweit einheitliche Empfehlungen für den Umgang mit historischen Fahrzeugen, die sie als Kulturgüter einstuft. Die Tendenz ist klar: Das Bewahren der historischen Substanz rangiert vor der Restaurierung mit modernen Mitteln. Die Alltagstauglichkeit, sprich, Fahrbarkeit eines Oldtimers spielt, wenn überhaupt, eine eher untergeordnete Rolle. Restaurierungen sollen bevorzugt mit historisch korrekten Materialien und Arbeitstechniken erfolgen. Zwar wird eingeräumt, dass auch moderne Ersatzmaterialien und Techniken zum Einsatz kommen dürfen – beispielsweise zum Konservieren – Originalmaterialien und zeitgenössische Techniken der Bauzeit haben jedoch Vorfahrt. Über Auswirkungen der Charta von Turin sprachen wir mit Jürgen Book, bei Glasurit Leiter des Kundenservices und Oldtimer-Experte.
Herr Book, eine Ausstellung wie die „Schlafenden Schönheiten“ dürfte ganz im Sinne der „Charta von Turin“ sein: Oldtimer von unschätzbarem Wert, aber allesamt unrestauriert …
Unrestauriert stimmt nicht ganz. Einige Fahrzeuge der Gebrüder Schlumpf wurden durchaus im Laufe der Zeit nach dem damaligen Stand der Technik und auch nicht immer mit allzu hohem historischem Anspruch verändert oder instand gesetzt, andere befinden sich tatsächlich im Ursprungszustand. Einige sind ihrem Alter und den Umständen entsprechend ziemlich zerfallen, aber deswegen nicht weniger wertvoll.
Wirft die Charta von Turin nicht die Frage auf, ob man solche Fahrzeuge überhaupt restaurieren darf?
Die Charta spricht unter anderem auch die Restaurierung an, legt aber gesteigerten Wert auf eine Angleichung des wirklich originalen Erscheinungsbildes. Dabei spricht die Charta alle klassischen Fahrzeuge an, auch einen 30 Jahre alten VW Golf, der gerade erst das H-Kennzeichen erlangt hat. Mit anderen Worten: „Besser als neu“ ist aus der Sichtweise der Charta ein nicht erstrebenswerter Zustand. Die Frage ist aber, wie denn „original“ wirklich war, und wie das handwerklich darstellbar ist. Bei Lack betrifft das Kriterien wie Farbton, Glanz, Verlauf, Lack-Technologie und auch Haptik, also wie sich die Lacke anfühlten. Speziell dieses Thema ist bei den von uns analysierten Fahrzeugen sehr interessant.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Besitzer eines Oldtimers? Wozu ist er verpflichtet?
Die Rolle des Besitzers wird in diesem Zusammenhang ein wenig außer Acht gelassen. Er bestimmt, ob sein Fahrzeug seinem Schicksal überlassen, konserviert oder restauriert wird. Für manche Museen wird es interessant sein, ein Fahrzeug als Kulturgut völlig unbearbeitet oder lediglich konserviert zu präsentieren. Die meisten Privatbesitzer möchten ein Auto aber fahren, nicht jeden Tag, aber doch gelegentlich. Da gilt es dann ganz praktische technische und sicherheitsrelevante Kriterien zu erfüllen. Die Zulassungskriterien sprechen von einem „guten Erhaltungszustand“.
Beantwortet sich damit auch die Frage, ob moderne Materialien verwendet werden oder nicht?
Da muss man genau hinschauen: Die Charta sagt, dass bevorzugt alte Materialien und Techniken eingesetzt werden sollen, es sei denn, sie können aus Gründen der Sicherheit, Gesetzgebung oder Verfügbarkeit nicht länger verwendet werden. Was den Lack angeht, ist unsere Position ganz klar: Wir werden keine Nitrolacke oder Ähnliches nachrezeptieren, sondern moderne Lacke einsetzen, aber damit das originale Erscheinungsbild nachstellen, soweit das geht. Hier gibt es sowohl mit neuen als auch alten Materialien Grenzbereiche.
Woher kommen die dafür notwendigen Informationen? Farbmuster aus der Zeit sind ja, wenn man überhaupt welche findet, ebenfalls verblichen oder vergilbt.
Beim „Farbton“ können wir auf unser Farbtonarchiv zurückgreifen. Bei den anderen Aspekten untersuchten wir bereits unterschiedlich alte, original erhaltene Fahrzeuge, um messtechnisch und analytisch festzustellen, wie das originale Erscheinungsbild – der so genannte Quellenwert – war. Dabei kommt uns natürlich unsere Kompetenz in der Analytik und der Labortechnik zugute, die im Falle von Glasurit auch noch auf sehr viel Know-how im Oldtimerbereich trifft. Bestes Beispiel ist ja unser Engagement im Rahmen der Ausstellung „Schlafende Schönheiten“, wo wir die Gelegenheit genutzt haben, Proben von über hundert Jahre alten Originallacken zu untersuchen. Das Ziel war dabei ganz klar: Wir wollten herausfinden, wie die Lackierung auf den Fahrzeugen wirklich aussah und wie sie aufgebaut war. Eine Restaurierung dieser Autos stand aber nicht im Mittelpunkt.
Wird die „Charta von Turin“ Konsequenzen für Lackier- und Karosseriebetriebe haben, die im Oldtimergeschäft aktiv sind?
Die heute schon bestehende Gruppe, die statt „besser als neu“-Fahrzeugen solche mit Patina bevorzugt, begrüßt die Charta. Die bis heute größere Gruppe, die komplett durchrestaurierte, auf Hochglanz getrimmte Fahrzeuge bevorzugt, die besser dastehen als das Original je aussah, wird aber eventuell kleiner.
Letztlich wird dabei auch die Entwicklung der Fahrzeugwerte mit entscheiden. Wenn nicht restaurierte oder nur konservierte Fahrzeuge höhere Preise erzielen als restaurierte, wird sich ein Teil des Marktes in diese Richtung bewegen. Hier lohnt sich ein Blick auf die zum Beispiel von Classic Data ermittelten Werte und Trends. All dies betrifft übrigens nicht „nur“ Lack, sondern auch Karosseriebau, Inneneinrichtung und erst recht sicherheitsrelevante Teile. Andererseits muss alles auch handwerklich zu bewerkstelligen sein; dazu muss man genau wissen, welches Ergebnis eigentlich erreicht werden soll. Es wird also auch in Zukunft Geschäft geben, nur wird die Charta vermutlich für mehr Sensibilität hinsichtlich des originalen Erscheinungsbildes sorgen. Und da können wir helfen.
Herr Book, vielen Dank für das Gespräch.
Weitere Informationen: Die Charta von Turin kann unter www.fiva.org eingesehen oder heruntergeladen werden. Infos zur Ausstellung gibt es unter www.schlafende-automobilschönheiten.de

Unternehmen im Fokus
Aktuelle Ausgabe
Titelbild Lackiererblatt 2
Aktuelle Ausgabe
02/2024
EINZELHEFT
ABO
FACEBOOK


Malerblatt Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Malerblatt-Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Medien GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum arcguide Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des arcguide Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de