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Ähnliche Probleme, andere Lösungen

Know-how
Ähnliche Probleme, andere Lösungen

In der Schweiz wurden bei den Themen Ausbildung und Nachwuchswerbung vielversprechende Wege eingeschlagen

Selcuk Özgül

Nachwuchs für das Handwerk zu gewinnen, insbesondere für den Lackierer- und den Karosseriebauerberuf, stellt nicht nur in Deutschland eine der größten Zukunftsherausforderungen dar. Auch in der Schweiz gehört das Finden – und Halten – des Berufsnachwuchses zu den zentralen Aufgaben, mit denen sich der Schweizerische Carrosserieverband VSCI auseinanderzusetzen hat. Dabei geht man auch unterschiedliche Wege als im nördlichen Nachbarland und kann durchaus Erfolge verzeichnen. Äußeres Zeichen ist neben einem konstant guten Abschneiden bei Berufswettbewerben wie den Worldskills in jüngster Zeit auch wieder eine steigende Zahl der Ausbildungsverträge. Wir sprachen mit Felix Wyss, dem Zentralpräsidenten des VSCI, und VSCI-Geschäftsführer Thomas Rentsch.

Herr Wyss, Herr Rentsch, Nachwuchswerbung ist für einen Branchenverband wie den VSCI ein zentrales Thema. Welche Maßnahmen stehen für Sie dabei im Vordergrund?

Da gibt es eine Vielzahl von Aktivitäten. Ein ganz wichtiger Beitrag ist unsere Teilnahme an regionalen Berufsmessen, nicht nur, um über unsere Berufe zu informieren, sondern um jugendliche die Berufe aktiv erleben zu lassen. So schaffen wir Handwerkserlebnis, das tief in den Menschen hineingeht und auch eine Beziehung zum Handwerk ermöglicht. Ein Beispiel dafür ist Swissskills, ein nationaler Großevent, wo wir auf 600 m2 Fläche unsere drei Berufe zum Erlebnis gemacht haben.

Welche Aktivitäten wurden da angeboten?

Unter dem Motto „Faszination Carrosserieberufe“ gab es acht Stationen, an denen interessierte Jugendliche etwas tun konnten, was wirklich der beruflichen Realität entspricht, z.B konnte man mit Thermolack einen Kotflügel lackieren, an einer Haube drücken oder einen Handyhalter aus Metall selbst formen. Wir haben sehr viele Besucher gehabt und die Jugendlichen hatten sehr viel echte Freude daran.

Welche konkreten Folgen gab es?

Wir haben an den Swissskills mehrere Schnupperlehren und wahrscheinlich sogar Ausbildungsplätze vermitteln können. Die Swissskills sind ja in ein Branchenevent eingebunden, bei dem sehr viele Betriebe zu Gast sind und wo auf Betriebsadressen zugegriffen werden kann. Wir verfügen über Listen derjenigen Ausbildungsbetriebe, die unserer Überzeugung nach eine hohe Qualität und Ausbildungskompetenz aufweisen.

Worauf basieren diese Listen?

Das Stichwort lautet hier „Top-Ausbildungsbetrieb“. Unser Ziel ist es, dass die Betriebe nicht nur durch Fachkompetenz belehren, sondern durch Ausbildungskompetenz Attraktivität gewinnen. Handwerker sind nicht von Natur aus gute Ausbilder, sondern in erster
Linie gute Fachleute. Deswegen wollen wir sie unterstützen. Sie können einerseits bei uns gute Ausbildungshilfsmittel beziehen, andererseits haben wir sehr kompakte Ausbilderkurse geschaffen, wo sie in ein bis zwei Tagen jeweils ein wichtiges Ausbildungsthema ganz praxisorientiert bearbeiten können. Wir wissen, dass die Ausbilder in der Schweiz alle noch produktiv im Betrieb arbeiten. Auszubilden ist keine Haupttätigkeit, sondern eine zusätzliche Nebentätigkeit eines Mitarbeiters.

Begleiten Sie die Ausbilder dann noch weiter?

Je nach Bedarf. Oft stellt man fest, dass die Kurse nicht zur gelebten Qualität führen, daher bieten wir eine Begleitung im Betrieb. Wenn jemand bei uns im Kurs war und nachher wieder im Alltag, in seiner individuellen Realität nicht weiß, wie er die Erkenntnisse umsetzen kann, dann bekommt er einen persönlichen Coach zur Seite gestellt, der ihm hilft, seine Ziele auch effektiv umzusetzen. Damit die Betriebe, die sich in dieser Richtung engagieren, auch sichtbar werden, bekommen sie das Label „Top-Ausbildungsbetrieb“. Der Grund dafür ist einfach: Wir haben auch in der Schweiz Fachkräftemangel, vor allem bei den Spenglern, beim Lackierer nicht so extrem. Deswegen können wir es uns nicht leisten, dass motivierte junge Leute in unmotivierten, schlechten Ausbildungsbetrieben verbrannt werden und nachher einfach die Freude am Beruf nicht finden.

Motivierte junge Leute sollten also in den Top-Ausbildungsbetrieben lernen.

Ja, und damit helfen wir beiden Seiten, denn viel zu viele junge Leute brechen ihre Ausbildung ab, in unserem Beruf regional manchmal 40 Prozent. Deswegen haben viele Betriebe mit der Zeit keine Lust mehr zum Ausbilden. Gerade wenn ein Betrieb mit Freude ausbildet und ihm dann zwei, drei Mal die Leute davonlaufen, dann kommen Selbstzweifel auf und der Inhaber fragt sich irgendwann einmal, ob er wirklich weiter ausbilden will.

Wirken sich diese Anstrengungen denn schon in Zahlen aus?

Bei langfristiger Betrachtung noch nicht, Statistiken zeigen, dass von 2006 bis 2016 die Anzahl der abgeschlossenen Lehrlingsverträge von über 400 auf ca. 250 gesunken ist. Da spielen viele Faktoren eine Rolle: Natürlich die demografische Entwicklung, aber auch eine Akademisierung der Ausbildung in der Schweiz. Wir haben sehr viele Zuwanderer aus Südeuropa und den Balkanländern. Eine Lehre in unserem Sinne inklusive der Möglichkeit einer darauf aufbauenden Weiterqualifizierung kennt man dort nicht. Eine höhere Berufskarriere wird mit einem Studium gleichgesetzt. Gerade deswegen müssen wir die interessierten Jugendlichen ansprechen. Und in jüngster Zeit stellen wir fest, dass Maßnahmen wie Topausbildungsbetrieb, die Teilnahme an Veranstaltungen oder Besuche bei den Schulen diesem Trend entgegenwirken. Zieht man in Betracht, dass wir seit die 2013 auch eine zweijährige Ausbildung bei den Lackierern haben, dann ist die Zahl der Auszubildenden wieder leicht angestiegen. Letztlich muss aber auch der Betriebsinhaber seine traditionelle Sichtweise hinterfragen.

In welcher Hinsicht?

Viele Inhaber sind jahrelang mit der Einstellung durch die Welt gegangen, dass Auszubildende froh sein sollten, in ihrem Betrieb eine Lehre machen zu dürfen. Die müssen umdenken. Früher hat man von oben herab ausgebildet, jetzt hat man plötzlich einen Gesprächspartner auf Augenhöhe, und die Attraktivität muss gegenseitig gegeben sein. Der junge Interessent kommt heute und sagt: Ich habe viele Alternativen, aber würde gerne eine Schnupperwoche bei Ihnen machen. Der konservativ denkende Betrieb ist der Meinung: Jemand kommt in die Schnupperwoche und ich gebe dann Feedback, ob ich ihn will. So einfach ist es aber nicht mehr. Es reicht nicht, sich für jemanden zu entscheiden, sondern ich muss mich um ihn „bewerben“.

Welche Rolle spielen Social Media bei der Nachwuchsgewinnung des VSCI? Wie bespielen Sie diese Kanäle?

Wir wollen vor allem das Vertrauen von Jugendlichen zu unseren Berufen herstellen. Dazu bringen wir z.B in Facebook sehr viele Bilder vor allem von Berufsmessen, wo junge Leute abgebildet werden, Bilder von den Swissskills, aber auch Bilder von Topausbildungsbetrieben. Wir müssen den Jugendlichen zeigen, dass in unserer Branche Jugendliche beschäftigt sind, die sich in diesen Berufen verwirklichen können.

Wie hoch ist denn der Anteil der weiblichen Auszubildenden in der Schweiz?

Bei den Lackierern liegt er mittlerweile bei knapp 50 Prozent. Und die weiblichen Auszubildenden sind extrem erfolgreich. Bei den Schweizer Meisterschaften belegten Frauen die ersten sechs Plätze.

Gibt es da von Verbandsseite eine spezielle Ansprache, spezielle Aktionen?

Eigentlich nicht, aber die Welt der Farben, die Kreativität, die man erleben kann, das sind die Gründe, warum sie sich für diesen Beruf entscheiden.

Berufswettbewerbe sind in der Schweiz, wenn ich das richtig einschätze, stark auf die Worldskills ausgerichtet bzw. an ihnen orientiert. Hat sich das bewährt?

Ja, aber nicht mit dem einzigen Ziel, an die Worldskills zu gehen. Wir haben 2012 die Meisterschaften auf neue Beine gestellt und die Strategie komplett überarbeitet. Wir wollten regionale Meisterschaften machen, um möglichst viele Jugendliche teilnehmen zu lassen. Ziel war es, in vier Regionen z.B. je zwölf Autolackierer zu fördern. Das ergibt 48 Autolackierer, die jeweils zwei Jahre lang in einem Fördersystem sind, wo sie tolle Erlebnisse haben. Nicht nur beim Wettbewerb, sondern auch schon im Vorfeld, weil wir sie regelmäßig zusammenbringen. Aus den 48 Teilnehmern qualifizieren sich dann zwölf, die vor der Schweizer Meisterschaft noch mehr gefördert werden. Dann gibt es die Schweizer Meisterschaft im Rahmen eines Riesenevents mit sehr vielen Besuchern. Schließlich bleibt einer – oder eine – übrig, geht zu den World-
skills und wird vorher noch einmal gefördert. Letztlich gewinnen wir so Topbotschafter für unsere Branche. Wir haben an den letzten drei Berufsweltmeisterschaften im Carrosseriebereich fünf von sechs möglichen Medaillen gewonnen.

Hat sich die Austragung der Berufsmeisterschaft im Rahmen des Branchenevents bewährt?

Absolut, die Jugendlichen merken, sie werden ernst genommen und stehen voll im Fokus – anders als früher, wo mehr oder weniger im Verborgenen eine quasi interne Meisterschaft ausgetragen wurde. Wir haben dieses Jahr beim Branchenevent rund 2.700 Besucher gehabt. Viel mehr gibt die Branche in der Schweiz gar nicht her.

Themawechsel: In der Schweiz dauert die Ausbildung zum Lackierer-/Karosseriebauergesellen vier Jahre. Warum und wie hat sich das bewährt?

Sowohl der Karosserie- als auch der Lackierpart sind immer komplexer geworden. Die Materialvielfalt in der Autokonstruktion und die Farbton- und Effektvielfalt sind hier nur zwei Stichworte. Schon vor Jahren wurde die Ausbildung der Lehrlinge im vorgegebenen Zeitraum daher schwierig. Um keine wichtigen Ausbildungsinhalte wegzulassen, hat man sich dafür entschieden – wie es in der Schweiz üblich ist, in Zusammenarbeit mit Kantonen und Bund – in diesen Berufen die Ausbildungsdauer auf vier Jahre zu erhöhen. Da die Entwicklung der Materialien ja weiter- geht und die Spezialisierung immer wichtiger wird, hat sich dieser Schritt in jeder Hinsicht bewährt.

Auf der anderen Seite gibt es in der Schweiz eine Qualifikationsstufe unter dem Gesellen, mit zweijähriger Ausbildungszeit und weniger Theorie, wie ich mir vorstellen könnte …

Die zweijährige Lehre zum Lackierer-
assistenten ist für Jugendliche mit geringeren kognitiven Kompetenzen gedacht und spricht vor allem Praktiker an, die Anweisungen brauchen und gerne auch Routinearbeiten durchführen. In der Praxis machen diese Absolventen Vorbereitungs- und Finisharbeiten und lackieren nicht. Auch ausländische Jugendliche mit geringen Deutschkenntnissen können hier einen Einstieg in den Beruf finden – mit Möglichkeit zur Weiterqualifikation. Sie dürfen, wenn sie diese Ausbildung zu Ende gebracht haben und weiterhin aufnahmefähig sind, die vierjährige Lackiererausbildung in drei Jahren zu Ende bringen. Aus unserer Sicht hat sich diese anfangs umstrittene Aufgliederung der Lehrverhältnisse bewährt. In der Summe hat sich, wie gesagt, die Anzahl der der Lehrverträge erhöht.

Herr Wyss, Herr Rentsch, vielen Dank für das Gespräch.

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