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"Das kooperative Schadenmanagement hat sich bewährt" - Interview mit Matthew Whittall

Technik
„Das kooperative Schadenmanagement hat sich bewährt“

Innovation Group-Vorstandsvorsitzender Matthew Whittall blickt auf 20 Jahre Schadenmanagement zurück

Michael Rehm

Herr Whittall, lassen Sie uns mit dem „Signalisationsstreit“ beginnen, der die Branche längere Zeit beschäftigt und belastet hat. Der Konflikt mit der HUK-Coburg hat sich ja, zumindest, was die Innovation Group betrifft, geklärt. Dennoch; wie würden Sie die Situation rückblickend bewerten und die Lösung beschreiben?
Das „Partnerwerkstatt“-Konzept der HUK-Coburg sah die Entwicklung einer K+L-Marke vor, deren Erscheinungsbild klar von der HUK und ihren Kooperationspartnern geprägt war. Wir haben nichts dagegen, wenn jemand seinem Betrieb ein professionelles Erscheinungsbild geben will und dabei auf ein von der HUK vorgeschlages Design zurückgreift – eine Grenze sehen wir natürlich da, wo dieses Erscheinungsbild durch Logos oder Schriftzüge mit unserem größten Konkurrenten bzw. den größten Konkurrenten unserer Versicherungskunden in Verbindung gebracht wird. Daher sind wir eingeschritten und haben denjenigen HUK-Partnerbetrieben, die gleichzeitig unsere Partner sind, signalisiert, dass wir bei einer Umsetzung des ursprünglichen HUK-Konzepts Gegenmaßnahmen treffen würden – bis hin zum Auftragsstopp, aber soweit mussten wir ja Gott sei Dank nicht gehen.
Trotzdem entsteht doch mit der „Partnerwerkstatt“ eine Marke, mit der ohne allzu große Anstrengung Ihr Hauptwettbewerber in Verbindung gebracht werden kann, und die – zumindest in der Theorie – auch recht schnell wieder mit einem stärkeren „Branding“ versehen werden könnte.
Schwer zu sagen, ob diese Gefahr besteht. Immerhin sind wir jetzt gewarnt, und auch unsere Kunden wünschen, dass wir das im Auge behalten. Wir wären diesen Kompromiss auch nicht eingegangen, wenn wir den Eindruck gehabt hätten, dass innerhalb der nächsten Monate Hunderte von „Partnerwerkstätten“ entstehen würden. Generell können wir an der Idee einer starken Marke für freie K+L-Betriebe aber nichts aussetzen. Wenn manche Werkstätten hier für sich Bedarf sehen und ihnen die bestehenden Angebote von Verbänden und Lackherstellern nicht ausreichen, warum nicht? Vor allem geht es uns darum, K+L-Aufträge aus dem markengebundenen Markt, in dem aus unserer Sicht immer noch zu viele solcher Aufträge landen, dem freien Markt zuzuführen, wo, wie wir finden, günstiger, besser und mit sehr hoher Kundenzufriedenheit gearbeitet wird. Sollte sich eine solche – neutrale – Marke beim Konsumenten durchsetzen, könnte das dabei ja helfen.
Wie betrachten Sie generell die Zukunftsaussichten der Branche und speziell der an der Schadensteuerung beteiligten Werkstätten?
Die halten wir für besser, als vielfach behauptet wird.
Wie begründen Sie das?
Bevor die Innovation Group 2016 von der Beteiligungsgesellschaft Carlyle gekauft wurde, hat man dort umfangreiche Marktuntersuchungen zur Entwicklung des Reparaturgeschäfts gemacht – und zu aller Überraschung festgestellt: Wir befinden uns in einem wachsenden Markt! Auch wir waren erstaunt, weil ja immer gesagt wird, dass es durch autonomes Fahren und Assistenzsysteme bald keine Schäden mehr gibt, dass nur noch Mobilität und nicht mehr das Auto zählt, dass die jungen Leute keinen Wert aufs Auto legen und so weiter. Und plötzlich kommt jemand, der sagt, dieser Markt wächst – und investiert in diesen Markt!
Was ist Ihre Erklärung für diesen Widerspruch?
Natürlich gibt es technische Änderungen und sich wandelnde Einstellungen zum Auto, die in Zukunft ihre Auswirkungen haben werden. Aber schauen wir ins Hier und Jetzt! Fakt ist: Der Fuhrpark in Deutschland wächst pro Jahr um ein Prozent. Die Straßen werden aber nicht breiter und die Parkplätze auch nicht. Wir haben also immer mehr Autos, die die sich da draußen rumtreiben, und gelegentlich fahren sie gegeneinander. Auch die Statistik weist ja 2016 mehr gemeldete Schäden als 2015 aus. Die Schadenursachen werden vielfältiger. Natürlich verhindern Assistenzsysteme viele vor allem schwere Schäden, aber andere Schäden werden mehr. Immer mehr Stop-and-go-Verkehr, kleine Unaufmerksamkeiten, das Handy wird benutzt, das Navi bedient, über Monitore und Headup-Display strömt permanent Information auf den Fahrer ein – das führt zu mehr Unfällen, wenn auch zu kleineren.
Liegt darin eine besondere Aufgabe für die Schadensteuerung?
Die meisten kleineren Unfälle ereignen sich in Städten oder Großstädten, wo es aus unterschiedlichen Gründen – Umweltschutz, Verkehr, Grundstückspreise – immer schwieriger wird, einen klassischen K+L-Betrieb zu betreiben. Hier würde ich durchaus eine Chance sehen für kleine Einheiten, die sich auf kleine bis mittlere Schäden konzentrieren – entsprechende Konzepte gibt es ja – bis hin zu Zero-Emission-Reparaturboxen …
Generell geht ja der Trend eher zu großen Einheiten, gerade im Bereich der gesteuerten Schäden. Wenn es immer mehr sehr große, sehr leistungsfähige Betriebe gibt – wird das Auswirkungen auf Ihr Werkstattnetz haben? Werden Sie künftig weniger, dafür größere Partner haben?
Wir haben heute 850 meist freie K+L- Betriebe als Partner, und unter unseren Partnern, mit denen wir 1997 gestartet sind, sind 90 Prozent noch dabei. Wir sehen keinen Grund, an dieser gewachsenen Struktur des Netzes etwas zu verändern. Größe als solche ist kein Argument, sondern die Zufriedenheit der Kunden. Und die reagieren immer noch empfindlich, wenn ein Partnerbetrieb zu weit weg ist, nicht mehr als die Werkstatt „vor Ort“ empfunden wird. Ein dichtes Netz ist deshalb wichtig. Wir steuern ganz einfach mehr, wenn wir mehr Partner haben.
Welche Projekte werden die Innovation Group in den nächsten Jahren beschäftigen?
Es gibt eine Reihe von Projekten, die uns zukunftsfähig machen sollen und unter dem „Arbeitstitel“ IG 2020 angegangen werden. Dazu gehört natürlich eine kontinuierliche Verbesserung der Prozesse – und hier spielt unsere Plattform SOOM die entscheidende Rolle. Hier liegt für unsere Werkstattpartner, unsere Kunden und für uns eine große Chance, effizienter zu sein und Mehrwert zu bieten – durch einheitliche Kommunikation, effiziente Dateneingabe und Aufbereitung und transparente Darstellung der Prozesse. Die Erfahrung aus zweieinhalb Jahren SOOM hat uns gezeigt, dass das zwar harte Arbeit ist und Ressourcen erfordert – unsere IT-Abteilung zählt mittlerweile 25 Personen – die Erfolge sind aber sichtbar.
Wohin wird sich SOOM entwickeln?
Ein wichtiger Punkt ist mehr Transparenz im Reparaturprozess. Der Endkunde soll wissen: Wie weit ist mein Auto, und wann ist es fertig? Der Kunde, vor allem der Großkunde, erwartet heute diese Transparenz. Dafür Prozesse zu entwickeln, die den Werkstätten keinen zusätzlichen Aufwand verursachen, ist eine der Aufgaben unserer IT.
Parallel dazu möchten wir mit unseren Werkstattpartnern künftig nicht mehr nur „digital“ kommunizieren, sondern als Innovation Group persönlich stärker in den Markt treten.
In welcher Form soll das geschehen?
Wir sind gut darin, Prozesse abzubilden, Daten auszutauschen und Abläufe zu beschleunigen. Die Nähe zu den Werkstätten war bislang nicht unsere Stärke. Das wollen wir ändern, in die Fläche gehen, mit Werkstätten sprechen, schauen, wie unsere Ideen vor Ort ankommen, und wo dort der Schuh drückt. Es gibt Werkstätten, die seit 1998 mit uns arbeiten, die wir aber nicht persönlich kennen, noch nie betreten haben. Das soll sich ändern. Wir werden mit einem zunächst vierköpfigen Team Werkstattbetreuung „on the road“ machen, einfach den persönlichen Kontakt suchen und auch die Zusammenarbeit mit dem Werkstattbeirat weiter intensivieren.
Abschließende Frage: Wie wird sich die Schadensteuerung in Deutschland weiterentwickeln? Steuern wir auf Szenarien wie in England oder den Niederlanden zu?
Eines ist klar: Schadensteuerung wird weiter zunehmen. Wir haben 2012/2013 das Fraunhofer-Institut mit einer Studie beauftragt, um das Einsparpotenzial durch Schadensteuerung herauszufinden. Es betrug damals zwischen 300 und 400 Euro pro Auftrag – mittlerweile dürfte die Summe bei 500 Euro liegen, bei einer durchschnittlichen Schadenhöhe von 2.200 Euro. Auf dieses Geld kann heute keine Versicherung mehr verzichten, folgerichtig nimmt das Angebot und die Zahl der Policen mit Werkstattbindung permanent zu. Aber Verhältnisse wie in Holland oder England? Nein. Es gibt einige Gründe, die dagegen sprechen, dass sich der deutsche Markt ähnlich entwickeln wird – einer der wichtigsten ist die relativ starke Rolle der Hersteller. Es wäre aus Sicht der Betriebe auch absolut nicht wünschenswert. Wir haben in Deutschland – von gelegentlichen Reibungspunkten abgesehen – etwas entwickelt, was ich „kooperative Schadensteuerung“ nennen würde. Wir stehen mittlerweile seit 20 Jahren zwischen Versicherern und Leasinggesellschaften, die gerne ein bisschen weniger zahlen würden, und Werkstätten, die gerne ein bisschen mehr hätten. Da ist man manchmal auf einem schmalen Grat unterwegs, aber letztlich muss man zueinanderkommen. Unser Geschäft funktioniert, wenn wir den Auftraggebern klare Vorteile bieten, die Werkstätten aber ebenfalls noch Spaß an der Arbeit mit der Innovation Group haben.
Herr Whittall, vielen Dank für das Gespräch.

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