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8 Thesen zur Zukunft der industriellen Lackiertechnik

Arbeitsfeld im Umbruch
Acht Thesen zur Zukunft der industriellen Lackiertechnik

Der Autor des Beitrags, Dr. Michael Hilt, leitet am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart die Oberflächen- und Materialtechnik, die Abteilung Beschichtungssystem- und Lackiertechnik und das Geschäftsfeld Prozessindustrie.

„Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen!“ Dieses Bonmot wird so bedeutenden historischen Persönlichkeiten wie dem Atomforscher Niels Bohr, dem Politiker Winston Churchill, dem Autor Mark Twain und dem Kabarettisten Karl Valentin zugeschrieben. Für die Disziplin der Lackiertechnik, die durch viele Faktoren aus dem Außenraum beeinflusst wird, gilt dies besonders. Trotzdem ergeben sich aus ihren gegenwärtigen Rahmenbedingungen einige grundsätzliche Tendenzen. Sie werden im Folgenden in acht Thesen erläutert.
Die industrielle Lackiertechnik erfüllt nicht nur eine Schutzfunktion für die Substrate. Seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts werden durch sie individuelle Oberflächen gestaltet. Damit macht die Lackiertechnik eine kostengünstige und vergleichsweise nachhaltige Personalisierung von Objekten äußerst unterschiedlicher Dimensionierung möglich. Die Mittel zur Erzeugung farblich und funktional unterschiedlicher Eigenschaften von Objekten wurden über nahezu einhundert Jahre weiterentwickelt. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten trugen sowohl anlagen- und applikationstechnische als auch materialbedingte Weiterentwicklungen dazu bei, den hohen Stand der Lackiertechnik zu erreichen. Wie kann es nun künftig weitergehen? Welche Perspektiven ergeben sich auf diesem nur systemisch-interdisziplinär zu erschließenden Arbeitsgebiet? Lässt sich der heutige technische Stand noch optimieren?

These 1: Beschichtungen gewinnen weiter an Bedeutung

Über die Ober- und Grenzfläche kommt der Nutzer mit einem Gegenstand in Berührung. Durch die Beschichtung dieser Kontaktfläche werden Objekte mit relativ einfachen Mitteln langlebiger und personalisiert. In Zeiten immer knapper werdender Ressourcen ist ein maßvoller Umgang mit den vorhandenen Materialien und Stoffen vonnöten. Die geringe Masse einer Beschichtung auf einer Oberfläche stellt diesen sicher. Hinzu kommt die Multi-Funktionalisierung von Oberflächen als Wert- und Technologietreiber – Beschichtungen und das Aufbringen derselben sind daher unentbehrlich.

These 2: Ressourcenschonung im Bereich der Beschichtungsprozesse wird noch wichtiger

Jahrzehntelange technische Optimierung macht die Verschwendung im Lackierprozess minimierbar. Damit können Kosten in der Regel reduziert werden, was sich positiv auf die Herstellkosten auswirkt. Insofern wird als Ziel zukünftiger Lackierprozesse die »Ultraeffizienz« ausgegeben.

These 3: Die Automatisierungvon Lackierprozessen wird weiter zunehmen

Handwerklich betriebene Lackierprozesse werden auch heute noch weiter automatisiert. Denn moderne Technik erzielt eine bessere, und das heißt konstante, reproduzierbare Qualität. Der Trend von Industrie 4.0 mit Multisensorik-Konzepten, Big Data, neuen Geschäftsmodellen, einer »Appisierung« des Arbeitsumfelds, Anwendungen wie vorbeugender Instandhaltung und vielem mehr wirkt hier wie ein Booster.

These 4: Individualisierung und späte Variantenbildung liegen im Trend

Das Lackieren und die individualisierenden Drucktechniken ermöglichen eine individualisierte respektive personalisierte Massenproduktion. Dies wird zu gravierenden Veränderungen der Produktionskonzepte und -layouts führen, insbesondere bei später und ultraspäter Personalisierung der Objekte.

These 5: Klassische Beschichtungsprozesse und Drucken werden ähnlicher

Johannes Gutenberg hätte sich vermutlich nach 500 Jahren Buchdruck stark gewundert. Seine aus der Weinpresse entstandene Druckeinrichtung musste in den 1980er Jahren mehr und mehr neuen und individualisierenden Techniken weichen, bei denen sich Tröpfchen wie beim Spritzlackieren durch die Gasphase bewegen. Eine ganz ähnliche Lösung verfolgt die Lackiertechnik mit der Vision eines Overspray-freien Beschichtungsprozesses.

These 6: Lackieranlagen werden »prozessintegriert«

Kürzere Prozesse erreichten die Prozessoptimierer in der Lackiertechnik über Jahrzehnte in entsprechend groß gestalteten Universallackierereien. Der Trend zu personalisierten Produkten – auch in Bezug auf deren geometrische Proportionen –wird zu kleineren, mehrere Prozessschritte umfassenden, »prozessintegrierten« Lackiermodulen führen. Der »monolithische Block« der Zentrallackiererei wird abgelöst. Er entspricht bei vielen technischen Lackieraufgaben aufgrund der hohen Handlingkosten für das Aufbringen und Entnehmen von zu lackierenden Objekten immer weniger dem Stand der Technik.

These 7: Multifunktionale Beschichtungen wirken als Treiber für neue Beschichtungsprozesse

Die Experten sind sich einig: Multifunktionale, intelligente Beschichtungen, auch als „smart Coatings“ bezeichnet, werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Neben der Schutzwirkung und den optischen Eigenschaften weisen solche Beschichtungen weitere Merkmale auf. Sie können sensorische Aufgaben erfüllen, intelligente und zielgerichtete Reaktionen auf intrinsische und extrinsische Trigger ausführen, beispielweise eine definierte Schaltbarkeit aufweisen und vieles mehr. Im Bereich anspruchsvoller Konzepte, dazu gehört die Erzeugung besonderer Strukturen, sind neue Auftragsverfahren und Beschichtungsprozesse erforderlich, die größtenteils noch entwickelt werden müssen.

These 8: Am Ende entscheiden monetäre Faktoren

Neue Prozesse und Konzepte müssen am Markt Kunden und Lieferanten überzeugen, das heißt am Ende des Tages entscheidet die Wirtschaftlichkeit von Herstellprozessen und Marktpreisen über die Existenz von Produkten und deren Eigenschaften.
Aus heutiger Sicht wird die Lackiertechnik für viele weitere Jahre ein interessantes und sich weiter entwickelndes Arbeitsfeld bleiben, das sicher auch noch einige Überraschungen in sich birgt. Wie bei kaum einer anderen Technologie sind hier Material, Prozess und Technik sowie Produkt auf das Innigste miteinander verbunden und Lösungen sind insbesondere durch die Verbindung und das interdisziplinäre Verständnis von Naturwissenschaften und technischen Inhalten möglich. Die beschriebene Breite macht die Arbeit auf diesem Feld einzigartig und für viele noch zu entwickelnde Neuerungen offen.

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